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Paralympics-Star Popow: „Mit Sportprothese kosten die Menschen die Krankenkasse weniger“ 

Paralympics-Star und Orthopädietechniker Heinrich Popow hält die Hilfsmittelversorgung mit einer Sportprothese für ein gesundes Leben für notwendig. Im Interview erklärt er den Unterschied zur Alltagsprothese – und bietet Krankenkassen eine Wette an.
Junger Mann mit dunklen Haaren und kurzem Vollbart kniet in einem Startblock auf einer Laufbahn
Heinrich Popow

Eine Sportprothese kostet in der Regel ungefähr 10.000 Euro und ist damit etwa siebenmal günstiger als eine Alltagsprothese. Wie kommt das? 

Heinrich Popow: Alltagsprothesen haben einen richtigen Hightech-Boom erfahren. Maßgeblich für die gestiegenen Kosten verantwortlich ist die Entwicklung von mechanischen Prothesen zu solchen mit Mikro-Prozessoren gewesen. Sportprothesen funktionieren dagegen nach wie vor mechanisch. Sie sind dadurch leichter und viel einfacher aufgebaut als Alltagprothesen. Ohne Hightech muss ich sie über meine eigene Muskulatur ansteuern. Ich sehe meine Sportprothesen als ein Trainingsgerät, das es mir ermöglicht, Kondition aufzubauen, die ich im Alltag dringend brauche. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass ich mit meiner Oberschenkelamputation 70 Prozent mehr Energie benötige gegenüber einem Nichtbehinderten. Da kannst du dir vorstellen, wie schnell mein Tag eigentlich vorbei ist und ich platt auf dem Sofa liege, statt mich mit Freunden zu treffen. 

Haben sich denn Sportprothesen in den vergangenen Jahren nicht auch enorm weiterentwickelt? 

Wenig. Das wird oft falsch wahrgenommen, auch durch die Paralympics. Johannes Floors (Deutscher Paralympics-Athlet, Anm. d. Red.), doppelt-unterschenkelamputiert, ist 2019 den Weltrekord über 100 Meter in seiner Startklasse auf Prothesen gelaufen, die 1991 entwickelt worden sind.  

Warum steckt in Alltagsprothesen mehr Technik? 

Im Alltag geht es nicht um schnelle Sprints auf der Tartanbahn, sondern um einen sicheren Gang durch wechselnde Gegebenheiten. Deshalb sind Alltagsprothesen heute elektrisch gesteuert und haben einen Mikro-Prozessor. Mit einer mechanischen Prothese musste ich mich vor jedem Schritt vergewissern, ob da etwas liegt, worauf ich ausrutschen könnte. So hat sich mein Blickfeld immer auf den Boden konzentriert. Die Mikro-Prozessoren unterstützen die Schrittabfolge automatisch. Wenn ich mit einer modernen Prothese unerwartet auf einen Stein trete, merkt der Mikro-Prozessor das und sorgt dafür, dass mein Kniegelenk nicht einklappt, sondern dass ich da sicher rübergehen kann. Ein Teil meines Gehirns sitzt also jetzt unten an meinem Bein (schmunzelt). Letztendlich kann ich durch die Technologie auch Familienvater sein. Mit einer mechanischen Prothese hätte ich mir nicht vorstellen können, meine Säuglingstochter zu halten und mit ihr spazieren zu gehen. 

kräftiger junger Sportler mit dunkeln Haaren, kurzem Vollbart, rotem T-Shirt, kurzer Laufhose und Prothese steht auf der Laufbahn und schaut in die Kamera

Heinrich Popow

Der ehemalige Leistungssportler (geb. 1983) ist eines der bekanntesten deutschen Gesichter der Paralympics. Nachdem ihm als Kind das linke Bein amputiert werden musste, probierte der sportbegeisterte Popow mehrere Sportarten aus, bevor er 2001 zur Leichtathletik kam.  Achtmal stand er als Sprinter und Weitspringer allein bei Paralympischen Sommerspielen auf dem Siegertreppchen. Heute ist der gelernte Orthopädietechniker Botschafter des Prothesen- und Rollstuhlherstellers Ottobock.  

Ich bin absolut sicher, dass die Menschen mit Sportprothese leistungsfähiger sind und im Berufs- und Familienleben mehr beitragen können.

Heinrich Popow

Zurück zum Sport: Die 24-Jährige Tanja Höfler hat nach der Weigerung ihrer Krankenkasse die Kosten einer Sportprothese zu übernehmen eine Online-Petition gestartet (weitere Infos gibt dieser Artikel). Kennst Du Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland so wie Tanja Höfler um ein Hilfsmittel für Freizeit- und Breitensport kämpfen müssen? 

Mit Statistiken beschäftige ich mich wenig. Aber ich habe das Gefühl, dass gerade Menschen mit einer erworbenen Behinderung der Wunsch nach Sport oft erst einmal genommen wird. Nicht selten bekommt man zu hören: „Sei froh, wenn Du den Alltag wieder bewältigen kannst, denk` gar nicht erst an Sport.“ Ich habe das selbst erlebt. Erst wenn man auf andere trifft, die dank Sportprothese aktiv sein können, merkt man: „Krass, ich hab` das ja vermisst!“ Ich würde gern mal in einer Studie Menschen mit Sportprothese solchen ohne gegenüberstellen. Ich bin absolut sicher, dass die Menschen mit Sportprothese leistungsfähiger sind, im Berufs- und Familienleben mehr beitragen können, und damit am Ende auch die Krankenkassen weniger belasten – darauf wette ich. Deshalb würde ich den Krankenkassen raten: Bewilligt die Sportprothese um unterm Strich Kosten zu sparen, aber klemmt eine Nutzungsvereinbarung dahinter, damit die Dinger nicht ungenutzt in der Ecke stehen. 

Wie viele Prothesen besitzt du selbst? 

Zwei. Meine Alltagsprothese habe ich ganz normal von der Krankenkasse erhalten. Und meine Sportprothese ist noch immer die aus meiner Profi-Karriere. Die habe ich damals vom Sponsor gestellt bekommen. Und sie hält zum Glück noch.

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