Hilfsmittelversorgung im Sport: Wer zahlt?
Die Förderung des Freizeitsports und des Vereinssports gehört (...) nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen bei der Hilfsmittelversorgung.
Die deutlich teurere Alltagsprothese für rund 70.000,- Euro hat Tanja Höflers Krankenkasse bewilligt, den Antrag auf eine Sportprothese, die rund 10.000,- Euro kostet, jedoch abgelehnt. Begründung: Krankenkassen müssten nur die Kosten für jene Hilfsmittel übernehmen, die notwendig sind, um die Grundbedürfnisse eines Menschen abzudecken. Freizeit- oder Vereinssport zu treiben, gehöre nicht zu diesen Grundbedürfnissen. Breiten- und Leistungssport sei, im Gegensatz zu Rehasport, ein spezielles Mobilitätsbedürfnis, für das Krankenkassen nicht zuständig seien. Dieser Haltung der Krankenkassen hat sich auch das Bundessozialgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2013 angeschlossen (siehe Kasten unten).
Anders beurteilt das Bundessozialgericht die Frage allerdings bei Kindern und Jugendlichen. Damit sie beispielsweise am Schulsport teilnehmen oder sich "in den Kreis Gleichaltriger" integrieren können, sieht es in diesen Fällen doch die Krankenkassen in der Pflicht, die dafür erforderlichen Hilfsmittel zu übernehmen.
Was ist ein Hilfsmittel, was nicht? Sozialrechtler Christian Au erklärt.
Petition fordert Hilfsmittelversorgung im Sport durch die Krankenkassen
Der erste Schritt nach der Ablehnung eines Hilfsmittel-Antrags: Widerspruch
Eingliederungshilfe als alternativer Weg der Kostenübernahme
Rechtlich ist festgelegt, dass Eingliederungshilfe nur nachrangig gewährt werden kann. Das heißt: Die Kostenübernahme für Hilfsmittel muss zwingend zunächst bei der Krankenkasse beantrag werden. Erst wenn die ablehnt, kommt die Eingliederungshilfe in Betracht. Damit Antragsteller*innen nicht selbst mit ihrem Antrag von Tür zu Tür laufen müssen, sieht das Gesetz vor, dass die ablehnende Krankenkasse den Antrag automatisch an den zuständigen Träger der Eingliederungshilfe weiterleiten soll. Tut sie das nicht, muss eigentlich sie selbst die Kosten der Eigliederungshilfe tragen. „Ein Antrag und die Sache sollte eigentlich laufen“, fasst Au die Rechtslage zusammen.
Auch Vereine können aktiv werden bei der Hilfsmittelbeschaffung
-
Beispielsweise können Vereine an Privatpersonen oder Unternehmen herantreten, um sie als Sponsoren für die Hilfsmittelversorgung ihrer Mitglieder zu gewinnen.
-
Oder sie stellen Förderanträge bei Stiftungen (hier gibt es eine Übersicht geeigneter Adressen).
-
Neben Stiftungsgeldern können Vereine auch Mittel aus den kommunalen Bußgeldfonds beantragen. So haben beispielsweise Rollstuhl-Sportler*innen eventuell doch etwas davon, wenn jemand falsch auf einem Behindertenparkplatz gestanden und dafür ein Knöllchen erhalten hat.
Urteile zur Kostenübernahme von Sporthilfsmitteln
Hilfsmittel für Sport und Freizeit (2013)
2013 urteilte das Bundessozialgericht (BSG), dass Versicherte gegenüber Krankenkassen keinen Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln haben, die dazu dienen, sportlichen Aktivitäten in der Freizeit besser nachgehen zu können. (BSG, KR 3/1Urteil vom 21.03.2013 - B 3 2 R)
Ausnahmen für sportliche Betätigung (2019)
Das Landessozialgericht (LSG) Bayern nimmt 2019 auf die vorgenannte Entscheidung des BSG Bezug, kommt aber zu dem Schuss, dass das inzwischen veränderte Behinderungsverständnis, das dem Bundesteilhabegesetz zugrunde liegt, Ausnahmen von der Regel gebietet, "wenn normale Laufprothesen keine sportliche Betätigung ermöglichen." (LSG München, Urteil vom 30.04.2019 – L 4 KR 339/18)
Sportrollstuhl für Vereinssport (2020)
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat 2020 entschieden, dass der Sozialhilfeträger verpflichtet ist, einen querschnittsgelähmten Mann als Eingliederungshilfe mit einem Sportrollstuhl zu versorgen, damit dieser am Vereinssport teilnehmen kann. Sportliche Betätigung in einem Verein diene in Deutschland der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. (SG Mannheim, Urteil vom 04.02.2020 - S 9 SO 1824/19)
Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen
Zur Hilfsmittelversorgung von Kindern und Jugendlichen: Im Fall eines Jungen, dessen Eltern mit der Krankenkasse über die Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Fahrrad stritten, gab das BSG 2002 den Eltern Recht. In der Begründung heißt es: "Der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich ist auf eine möglichst weit gehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. (...) Es reicht deshalb aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich gefördert wird." (BSG Urteil vom 23.07.2002 - B 3 KR 3/02 R)
Beratung und Unterstützung
EUTB-Beratungsstellen helfen
Gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sind in den vergangenen Jahren bundesweit rund 500 Anlaufstellen zu Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) entstanden, in denen in der Regel Menschen mit Behinderung als Expert*innen in eigener Sache Ratsuchende kostenlos und barrierefrei zu Fragen rund um Rehabilitations- und Teilhabeleistungen informieren und beraten.