„Krankenkassen sagen: Halte dich durch Sport gesund, aber bitte im Alltagsrollstuhl.“
Herr Au, Ich möchte unser Gespräch mit einer persönlichen Frage beginnen: Welche Rolle spielt Sport für Sie als Privatperson?
Christian Au: Ich habe von Kindheit an viel Sport getrieben: Rollstuhlbasketball, Handbike-Marathons und jetzt Segeln. Wenn ich sportlich nicht immer schon so aktiv gewesen wäre, würde ich wahrscheinlich jetzt nicht hier sitzen, oder zumindest lange nicht so fit, wie Sie mich erleben. Man kann sagen: Durch Sport bin ich im Leben angekommen. Er ist essenziell für meine gesundheitliche Entwicklung gewesen.Als Fachanwalt für Sozialrecht vertreten Sie regelmäßig Menschen mit einer Behinderung, die eine Hilfsmittelversorgung zum Sport benötigen, diese aber von ihrer Krankenkasse abgelehnt bekommen haben.
Genau. Ich versuche dabei zu helfen, dass Menschen sich so betätigen dürfen, wie ich es jahrzehntelang durfte. Als ich Kind und Jugendlicher war, bezahlten die Krankenkassen noch anstandslos einen Sportrollstuhl, weil Krankenkassen damals noch rechnen konnten und sich überlegt haben, wie viel Geld sie dadurch einsparen, dass sie ihren Kunden ermöglichen, fit zu bleiben. Diese Denkweise ist leider komplett verloren gegangen, stattdessen sagen die Krankenkassen heute, es sei die Eigenverantwortung der Versicherten, sich fit zu halten. Aber bitteschön nicht mit einer sportlichen Betätigung ihrer Wahl, sondern einer, für die der Alltagsrollstuhl reicht. Das ist komplett lebensfremd.
Können Sie diese Haltung der Kassen nachvollziehen?
Bevor ich mich als Anwalt selbstständig gemacht habe, habe ich viereinhalb Jahre lang für eine Krankenkasse gearbeitet und versucht, dort eine andere Denkweise zu etablieren. Ich wollte von innen heraus etwas verändern, zumindest ein bisschen. So richtig geklappt hat das aber nicht. Also habe ich mir gedacht: Okay, dann muss ich eben den Menschen auf der anderen Seite helfen.
Mit dem Alltags-Rollstuhl kommt man überhaupt nicht gut über den Hallenboden voran. Und man kippt ständig um, weil ein Alltagsmodell kein Stützrad nach hinten hat, keine schräg gestellten Hinterreifen und so weiter.
Wieso hat sich die Position der Krankenkassen seit der Zeit Ihrer Kindheit so grundlegend verändert?
Als ich Jugendlicher war, haben wir nicht nur die Rollstühle für den Rollstuhlbasketball von der Krankenkasse bewilligt bekommen, sogar die Fahrtkosten zum Training wurden uns durch eine Verordnung zum Rehasport bezahlt. Selbst die Übungsleiter konnten ihre Tätigkeit darüber ein Stück weit finanzieren.
Mit der Professionalisierung des Behindertensports hat sich diese Praxis leider verändert. Die Krankenkassen sind immer mehr auf den Trichter gekommen zu sagen: „Das, was ihr da macht, ist kein Rehasport mehr.“ Zu einem gewissen Grad stimmt das ja auch. Der Fehler ist nur, dass die Krankenkassen nicht unterscheiden zwischen einem Profi, der in der ersten Bundesliga spielt und einem Sportler, der sich ein bis zwei Mal pro Woche körperlich betätigen möchte. Damit ist der Breitensport von Menschen mit Behinderung gleich mit unter die Räder gekommen.