Brailleschrift: Ein Symbol für Selbstbestimmung
Die Geschichte der Brailleschrift
Die Geschichte der Brailleschrift beginnt 1825 mit einem französischen Jungen namens Louis Braille. Im Alter von 16 Jahren entwickelte der nach einem Unfall erblindete Jugendliche ein einfaches, tastbares Punktsystem und damit eine universelle Schriftform für Blinde. Mit Entwicklung der Brailleschrift wurde also Lesen und Schreiben für blinde und sehbehinderte Menschen möglich – und brachte damit einen großen Schritt Richtung Inklusion. Bis dahin waren sie in weiten Teilen nicht nur von schriftlicher Kommunikation, sondern auch grundsätzlich von der Bildung ausgeschlossen. Die Entwicklung der Brailleschrift war somit ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Selbstbestimmung für blinde Menschen. Was viele nicht wissen: Louis Brailles Erfindung wurde erst Jahre nach seinem Tod offiziell anerkannt. Zunächst in Frankreich, später auch darüber hinaus. Heute gibt es Brailleschrift in fast allen Sprachen.
Wie die Brailleschrift aufgebaut ist
Die Basis der Brailleschrift bilden sechs Punkte, die in zwei senkrechten Reihen mit je drei Punkten nebeneinander angeordnet sind. Ein Raster von sechs Punkten hat sich deshalb bewährt, weil dieses Muster gut mit den Fingerkuppen erkannt werden kann. Außerdem sind die Punkte viel leichter zu ertasten als zum Beispiel die erhaben dargestellten Buchstaben des lateinischen Alphabets. Die genauen Maße und die Form der Braillepunkte sind standardmäßig festgelegt und gelten weltweit.
Um zu erklären, wie Brailleschrift funktioniert, wird oft das Beispiel eines Eierkartons für sechs Eier verwendet: Die Mulden sind durchnummeriert von 1 bis 6. Je nachdem, welche Positionen mit einem Ei gefüllt sind, entsteht ein Buchstabe. Liegt beispielsweise nur ein Ei (ein Punkt) an Position 1 (oben links), ergibt das ein A. Liegen zwei Eier an den Positionen 1 und 2, entsteht ein B. Je nachdem, wie viele Eier im Karton sind und wo Felder leer bleiben, ergeben sich verschiedene Buchstaben, Ziffern oder Satzzeichen.
Brailleschrift-Versionen
In Deutschland werden in der Regel drei Versionen der Brailleschrift verwendet:
- Die Basisschrift: Sie umfasst das Alphabet, Zahlen- und Satzzeichen.
- Die Vollschrift: Sie enthält zusätzliche Zeichen für Doppellaute wie au, eu, äu, ei sowie für ch und sch.
- Die Kurzschrift: Diese Schrift dient dem schnellen Lesen und Schreiben, da sie Abkürzungen für Wörter, Lautgruppen und Silben verwendet.
Daneben gibt es Spezialschriften, etwa für Mathematik oder Musik. Für das Arbeiten am Computer existiert das sogenannte Computerbraille, das nicht auf sechs, sondern auf acht Punkten basiert.
Wie Braille geschrieben wird
Brailleschrift kann auf verschiedene Weisen geschrieben werden. Per Hand, mechanisch am Computer oder auch am Smartphone:
Wie man Braille lernen kann
Blinde Schüler*innen lernen Braille in der Regel in Förderschulen mit dem Schwerpunkt Sehen. Beispiele sind die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista) in Marburg oder die Louis-Braille-Schule in Lebach im Saarland. Auch an Regelschulen wird Brailleschrift im Rahmen inklusiven Unterrichts vermittelt. Hier kommen meist spezialisierte Lehrkräfte im Rahmen von mobilen Diensten in die Schulen, um blinde und sehbehinderte Schüler*innen vor Ort zu unterrichten.
Auch Erwachsene können die Punktschrift erlernen. Kurse in Präsenzunterricht bieten verschiedene Blinden- und Sehbehindertenzentren, unter anderem der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) , der auch bei der Suche nach lokalen Lehrkräften behilflich sein kann. Wer lieber selbständig oder online lernen möchte, kann mittlerweile auch online auf viele Materialien oder Lernsoftware zurückgreifen. Mehr dazu erfahren Sie unter anderem beim DBSV , bei der blista oder beispielsweise auf der Plattform fakoo.de . Auch verschiedene Apps wie den Braille Tutor und den Braille-Trainer für iOS können Lernwillige dazu nutzen.
Wo man Literatur in Brailleschrift findet
Wer auf der Suche nach Büchern in Brailleschrift ist, wird in herkömmlichen Buchhandlungen selten fündig. Doch es gibt spezialisierte Bibliotheken, zum Beispiel diese:
- Das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen) in Leipzig verleiht und produziert Braillebücher und andere barrierefreie Medien.
- Die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista) betreibt eine der größten Blindenbibliotheken Deutschlands mit über 70.000 Medien.
- Auch die Mediengemeinschaft für blinde, seh- und lesebehinderte Menschen (Medibus) bietet Zeitschriften und Bücher in Brailleschrift an.
Weshalb Braille auch nach 200 Jahren wichtig bleibt
Brailleschrift ist mehr als nur ein Schriftsystem. Sie ist ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Laut der Europäischen Blindenunion (EBU) bleibt Braille auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar, denn die Punktschrift fördert durch Lesen und Schreiben aktive, kognitive Prozesse. Reine Sprachausgaben von Texten können diese Funktion nicht erfüllen. Somit ist Brailleschrift weiterhin von großer Bedeutung, um die Bildung von blinden und sehbehinderten Menschen zu stärken.
Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) betont zudem, dass Braille als Voraussetzung für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit unabdingbar ist. Nur wer lesen und schreiben kann, dem ist es möglich am kulturellen und beruflichen Leben gleichberechtigt teilzunehmen. Moderne Technologien erweitern heute die Zugangsmöglichkeiten zu Informationen erheblich, doch sie ersetzen die Brailleschrift nicht. Die Förderung des Brailleunterrichts und der Zugang zu Brailleliteratur bleiben daher auch über den 200. Geburtstag der Brailleschrift hinaus ein zentrales Anliegen von Blindenverbänden in Deutschland und Europa.
Interview: „Brailleschrift bedeutet weit mehr als reines Lesen“
Rainer Delgado ist Referent für Soziales beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV). Im Interview erklärt er, weshalb mehr Braille in der Bildung und im Alltag nötig ist:
Man kann sich Texte heute problemlos vorlesen und verschriftlichen lassen oder künstliche Intelligenz zur Bearbeitung und Übersetzung nutzen. Brauchen wir in der digitalen Welt also überhaupt noch Brailleschrift?
Warum wird diese Frage eigentlich nur blinden Menschen gestellt? Auch Sehende könnten sich alles vorlesen lassen – und trotzdem möchte niemand auf geschriebene Sprache verzichten. Braille bedeutet weit mehr als reines Lesen. Wer sie nutzt, arbeitet aktiv mit Sprache: beim Schreiben, Sprachenlernen oder beim präzisen Erfassen von Inhalten. Braille-Leser*innen haben oft ein besseres Textverständnis als Personen, die ausschließlich Sprachausgabe verwenden.
Gibt es ausreichend Bildungsangebote, um Brailleschrift lernen zu können?
Nein! Besonders kritisch ist der Mangel an qualifizierten Lehrkräften. Es gibt zu wenig Braille-Unterricht – sowohl in der Schule als auch für Menschen, die erst im späteren Leben erblinden. Der DBSV bildet daher im Rahmen eines von Aktion Mensch geförderten Projekts neue Lehrkräfte aus. Die Finanzierung muss aber dauerhaft gesichert werden – etwa durch Krankenkassen oder die Eingliederungshilfe.
365 Tage Braille
Braille ist mehr als nur eine Schrift, die man täglich nutzt wie eine Zahnbürste. Sie ist Teil der eigenen Identität.
Wo fehlt Brailleschrift im Alltag besonders?
Im öffentlichen Raum gibt es viel Nachholbedarf: Braille auf Türschildern, Aufzügen, Geländern oder Produkten ist oft Mangelware. Wenn Produkte in Braille beschriftet wären, würde das vielen blinden Menschen das Einkaufen oder Kochen enorm erleichtern. Und auch im digitalen Bereich hapert es: Internetseiten und E-Books müssen so gestaltet sein, dass sie sich mit Braille-Displays barrierefrei lesen lassen – bislang ist das noch keine Selbstverständlichkeit.
Hat denn die Brailleschrift heute noch eine Zukunft?
Ja, die Schrift ist genial und hat sich erstaunlich anpassungsfähig an moderne technische Entwicklungen erwiesen. Es gibt weltweit viele Menschen, die enthusiastisch für Braille arbeiten und sowohl Kinder als auch erblindete Erwachsene begeistern sich für Braille. Gerade hatten wir im Seminar für Braille-Lehrkräfte einen Teilnehmer, der erst vor einem Jahr selbst Braille gelernt hat und es jetzt an andere weitergeben will. Das macht Mut.