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Brailleschrift: Ein Symbol für Selbstbestimmung 

Seit Louis Braille im Jahr 1825 sein taktiles Schriftsystem entwickelte, hat es Millionen von Menschen weltweit Zugang zu Bildung, Kultur und Selbstbestimmung verschafft. Die Rede ist von der Brailleschrift. Im Jahr 2025 feiert diese ihr 200-jähriges Bestehen. Für viele blinde und sehbehinderte Menschen bleibt die Brailleschrift bis heute ein unverzichtbares Werkzeug. 

Die Geschichte der Brailleschrift

Die Geschichte der Brailleschrift beginnt 1825 mit einem französischen Jungen namens Louis Braille. Im Alter von 16 Jahren entwickelte der nach einem Unfall erblindete Jugendliche ein einfaches, tastbares Punktsystem und damit eine universelle Schriftform für Blinde. Mit Entwicklung der Brailleschrift wurde also Lesen und Schreiben für blinde und sehbehinderte Menschen möglich – und brachte damit einen großen Schritt Richtung Inklusion. Bis dahin waren sie in weiten Teilen nicht nur von schriftlicher Kommunikation, sondern auch grundsätzlich von der Bildung ausgeschlossen. Die Entwicklung der Brailleschrift war somit ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Selbstbestimmung für blinde Menschen. Was viele nicht wissen: Louis Brailles Erfindung wurde erst Jahre nach seinem Tod offiziell anerkannt. Zunächst in Frankreich, später auch darüber hinaus. Heute gibt es Brailleschrift in fast allen Sprachen.

Meilensteine der Brailleschrift

1809

Louis Braille wird am 4. Januar in Coupvray bei Paris geboren. Im Alter von drei Jahren verletzt er sich mit einem Werkzeug am Auge, was später zur vollständigen Erblindung führt. 

1825

Im Alter von 16 Jahren entwickelt Louis Braille seine Blindenschrift. Grundlage ist die sogenannte „Nachtschrift“ des Offiziers Charles Barbier, die Braille stark vereinfacht und an die Bedürfnisse blinder Menschen anpasst. 

1837

Erste gedruckte Bücher in Brailleschrift erscheinen, darunter auch Ausgaben mit Notenschrift.

1852

Louis Braille stirbt im Alter von 43 Jahren in Paris. Erst nach seinem Tod beginnt sich seine Schrift durchzusetzen.

1854

Frankreich erkennt die Brailleschrift offiziell an und führt sie in Blindenschulen ein. 

1879

Auch Deutschland führt die Brailleschrift in Blindenschulen ein. 

1900

Die erste Punktschrift-Schreibmaschine („Braille-Schreibmaschine“) wird entwickelt und erleichtert das Schreiben in Blindenschrift erheblich.

1980

Die erste Braillezeile (einzeiliges elektronisches Gerät zur Darstellung von Text am Computer) kommt auf den Markt – ein Meilenstein für digitale Barrierefreiheit. 

2004

Die „Mediengemeinschaft für blinde und sehbehinderte Menschen e. V. (Medibus)“ wird gegründet. Seitdem können alle deutschsprachigen Punktschriftbücher online recherchiert werden.
In der EU wird die Kennzeichnung von Medikamentenverpackungen in Brailleschrift verpflichtend eingeführt.

2009

Deutschland ratifiziert die UN-Behindertenrechtskonvention. Damit verpflichtet sich der Staat unter anderem zur Förderung von Braille in Bildung, öffentlicher Beschilderung und Zugänglichkeit.

2010er Jahre

Mobile Braillezeilen, Apps und digitale Assistenzsysteme mit Braille-Unterstützung setzen sich durch. Die Entwicklung dynamischer Braille-Displays für ganze Seiten beginnt. 

2025

Die Brailleschrift feiert ihr 200-jähriges Jubiläum. Weltweit können laut Weltblindenunion rund ein bis zwei Prozent der blinden Menschen fließend Braille lesen. In Deutschland sind es etwa 5.000 bis 6.000 Personen laut Deutschem Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV).  

Wie die Brailleschrift aufgebaut ist

Die Basis der Brailleschrift bilden sechs Punkte, die in zwei senkrechten Reihen mit je drei Punkten nebeneinander angeordnet sind. Ein Raster von sechs Punkten hat sich deshalb bewährt, weil dieses Muster gut mit den Fingerkuppen erkannt werden kann. Außerdem sind die Punkte viel leichter zu ertasten als zum Beispiel die erhaben dargestellten Buchstaben des lateinischen Alphabets. Die genauen Maße und die Form der Braillepunkte sind standardmäßig festgelegt und gelten weltweit.

Um zu erklären, wie Brailleschrift funktioniert, wird oft das Beispiel eines Eierkartons für sechs Eier verwendet: Die Mulden sind durchnummeriert von 1 bis 6. Je nachdem, welche Positionen mit einem Ei gefüllt sind, entsteht ein Buchstabe. Liegt beispielsweise nur ein Ei (ein Punkt) an Position 1 (oben links), ergibt das ein A. Liegen zwei Eier an den Positionen 1 und 2, entsteht ein B. Je nachdem, wie viele Eier im Karton sind und wo Felder leer bleiben, ergeben sich verschiedene Buchstaben, Ziffern oder Satzzeichen.  

Brailleschrift-Versionen

In Deutschland werden in der Regel drei Versionen der Brailleschrift verwendet: 

  • Die Basisschrift: Sie umfasst das Alphabet, Zahlen- und Satzzeichen. 
  • Die Vollschrift: Sie enthält zusätzliche Zeichen für Doppellaute wie au, eu, äu, ei sowie für ch und sch. 
  • Die Kurzschrift: Diese Schrift dient dem schnellen Lesen und Schreiben, da sie Abkürzungen für Wörter, Lautgruppen und Silben verwendet. 

Daneben gibt es Spezialschriften, etwa für Mathematik oder Musik. Für das Arbeiten am Computer existiert das sogenannte Computerbraille, das nicht auf sechs, sondern auf acht Punkten basiert. 

Wie Braille geschrieben wird

Eine blinde junge Frau sitzt lächelnd vor einem Laptop mit Braillezeile

Brailleschrift kann auf verschiedene Weisen geschrieben werden. Per Hand, mechanisch am Computer oder auch am Smartphone:

Wer per Hand schreibt, macht dies mit einer Schablone und einem Griffel: Punkt für Punkt wird von rechts nach links ins Papier gestochen, damit der Text auf der Rückseite ertastbar ist. 
Mechanisch schreiben lässt sich mit einer Punktschriftmaschine. Das ist eine Art Schreibmaschine mit sechs Tasten, von denen jede einem Punkt der Brailleschrift entspricht. 
Am Computer kommt moderne Technik zum Einsatz: sogenannte Braillezeilen wandeln Text vom Bildschirm in tastbare Punkte um, die sich mechanisch heben und senken. Über Braille-Tastaturen können Nutzer*innen Texte eingeben, die der Computer in Normalschrift übersetzt. 
Auch auf Smartphones ist Braille inzwischen angekommen. Virtuelle Braille-Tastaturen verwandeln den Bildschirm in eine Tastfläche mit sechs Punkten. Mit je drei Fingern der linken und rechten Hand tippt man Buchstaben wie auf einer Punktschriftmaschine. Vibrationssignale und Sprachausgabe helfen bei der Orientierung, wo sich die jeweiligen Punkte befinden. 

Wie man Braille lernen kann 

Blinde Schüler*innen lernen Braille in der Regel in Förderschulen mit dem Schwerpunkt Sehen. Beispiele sind die Deutsche Blindenstudienanstalt (blista) in Marburg oder die  Louis-Braille-Schule in Lebach im Saarland. Auch an Regelschulen wird Brailleschrift im Rahmen inklusiven Unterrichts vermittelt. Hier kommen meist spezialisierte Lehrkräfte im Rahmen von mobilen Diensten in die Schulen, um blinde und sehbehinderte Schüler*innen vor Ort zu unterrichten. 

Auch Erwachsene können die Punktschrift erlernen. Kurse in Präsenzunterricht bieten verschiedene Blinden- und Sehbehindertenzentren, unter anderem der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) , der auch bei der Suche nach lokalen Lehrkräften behilflich sein kann. Wer lieber selbständig oder online lernen möchte, kann mittlerweile auch online auf viele Materialien oder Lernsoftware zurückgreifen. Mehr dazu erfahren Sie unter anderem beim DBSV , bei der blista oder beispielsweise auf der Plattform fakoo.de . Auch verschiedene Apps wie den Braille Tutor  und den Braille-Trainer  für iOS können Lernwillige dazu nutzen. 

Erwachsener führt eine Kinderhand über die Brailleschrift

Wo man Literatur in Brailleschrift findet 

Wer auf der Suche nach Büchern in Brailleschrift ist, wird in herkömmlichen Buchhandlungen selten fündig. Doch es gibt spezialisierte Bibliotheken, zum Beispiel diese: 

Weshalb Braille auch nach 200 Jahren wichtig bleibt 

Brailleschrift ist mehr als nur ein Schriftsystem. Sie ist ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Laut der Europäischen Blindenunion (EBU) bleibt Braille auch im digitalen Zeitalter unverzichtbar, denn die Punktschrift fördert durch Lesen und Schreiben aktive, kognitive Prozesse. Reine Sprachausgaben von Texten können diese Funktion nicht erfüllen. Somit ist Brailleschrift weiterhin von großer Bedeutung, um die Bildung von blinden und sehbehinderten Menschen zu stärken.  

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) betont zudem, dass Braille als Voraussetzung für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit unabdingbar ist. Nur wer lesen und schreiben kann, dem ist es möglich am kulturellen und beruflichen Leben gleichberechtigt teilzunehmen. Moderne Technologien erweitern heute die Zugangsmöglichkeiten zu Informationen erheblich, doch sie ersetzen die Brailleschrift nicht. Die Förderung des Brailleunterrichts und der Zugang zu Brailleliteratur bleiben daher auch über den 200. Geburtstag der Brailleschrift hinaus ein zentrales Anliegen von Blindenverbänden in Deutschland und Europa. 

Interview: „Brailleschrift bedeutet weit mehr als reines Lesen“ 

Rainer Delgado ist Referent für Soziales beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV). Im Interview erklärt er, weshalb mehr Braille in der Bildung und im Alltag nötig ist:  

 

Man kann sich Texte heute problemlos vorlesen und verschriftlichen lassen oder künstliche Intelligenz zur Bearbeitung und Übersetzung nutzen. Brauchen wir in der digitalen Welt also überhaupt noch Brailleschrift?  

Warum wird diese Frage eigentlich nur blinden Menschen gestellt? Auch Sehende könnten sich alles vorlesen lassen – und trotzdem möchte niemand auf geschriebene Sprache verzichten. Braille bedeutet weit mehr als reines Lesen. Wer sie nutzt, arbeitet aktiv mit Sprache: beim Schreiben, Sprachenlernen oder beim präzisen Erfassen von Inhalten. Braille-Leser*innen haben oft ein besseres Textverständnis als Personen, die ausschließlich Sprachausgabe verwenden. 

 

Gibt es ausreichend Bildungsangebote, um Brailleschrift lernen zu können? 

Nein! Besonders kritisch ist der Mangel an qualifizierten Lehrkräften. Es gibt zu wenig Braille-Unterricht – sowohl in der Schule als auch für Menschen, die erst im späteren Leben erblinden. Der DBSV bildet daher im Rahmen eines von Aktion Mensch geförderten Projekts neue Lehrkräfte aus. Die Finanzierung muss aber dauerhaft gesichert werden – etwa durch Krankenkassen oder die Eingliederungshilfe. 

365 Tage Braille

Seit dem 1. Januar 2025 veröffentlicht der DBSV gemeinsam mit der Europäischen Blindenunion täglich Beiträge zur Brailleschrift auf der Kampagnenseite. Hier findet man Erfahrungsberichte, technische Hintergründe, berührende Gedichte und sogar Musikstücke. Diese Vielfalt zeigt, wie lebendig Braille heute ist.
Reiner Delgado, Referent für Soziales beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV)

Braille ist mehr als nur eine Schrift, die man täglich nutzt wie eine Zahnbürste. Sie ist Teil der eigenen Identität.

Reiner Delgado, Referent für Soziales beim DBSV

Wo fehlt Brailleschrift im Alltag besonders?  

Im öffentlichen Raum gibt es viel Nachholbedarf: Braille auf Türschildern, Aufzügen, Geländern oder Produkten ist oft Mangelware. Wenn Produkte in Braille beschriftet wären, würde das vielen blinden Menschen das Einkaufen oder Kochen enorm erleichtern. Und auch im digitalen Bereich hapert es: Internetseiten und E-Books müssen so gestaltet sein, dass sie sich mit Braille-Displays barrierefrei lesen lassen – bislang ist das noch keine Selbstverständlichkeit. 

 

Hat denn die Brailleschrift heute noch eine Zukunft?

Ja, die Schrift ist genial und hat sich erstaunlich anpassungsfähig an moderne technische Entwicklungen erwiesen. Es gibt weltweit viele Menschen, die enthusiastisch für Braille arbeiten und sowohl Kinder als auch erblindete Erwachsene begeistern sich für Braille. Gerade hatten wir im Seminar für Braille-Lehrkräfte einen Teilnehmer, der erst vor einem Jahr selbst Braille gelernt hat und es jetzt an andere weitergeben will. Das macht Mut.   

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