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Ein Mann sitzt an einem Laptop und lacht.

KI und Barrierefreiheit: Inklusion von Anfang an

Automatische Untertitel, intelligente Screenreader, Übersetzungen in Leichte Sprache: Für viele Menschen sind KI-gestützte Programme im Alltag unverzichtbar. Sie können Barrieren abbauen und Inklusion fördern. Doch es gibt auch Hürden: Viele KI-Anwendungen sind selbst nicht barrierefrei. Oft wird Barrierefreiheit nicht von Anfang an mitgedacht, sondern versucht, sie mit KI „nachzurüsten“. Wir erklären, wann KI wirklich barrierefrei ist und wie sie zum Abbau von Barrieren eingesetzt werden kann.

Barrierefreiheit im Zusammenhang mit KI

Mal angenommen, Sie betreiben einen Webshop. Um das Einkaufen zu vereinfachen, führen Sie einen KI-Chatbot ein. Er ist für alle Anliegen rund um die Uhr erreichbar. Bestellungen sind ab sofort nur noch über diesen Bot möglich. Die Mehrheit Ihrer Kund*innen ist mit dem Service sehr zufrieden. Manche können jetzt allerdings gar nicht mehr bei Ihnen einkaufen. Denn: Der Chatbot ist nicht barrierefrei. Er kann nicht in Einfacher oder Leichter Sprache kommunizieren. Mit Screenreadern ist er nicht kompatibel. Daran hat man bei der Entwicklung einfach nicht gedacht. Das ist natürlich schade – aber der Chatbot spart Ihnen viel Geld! Schließlich brauchen Sie keinen Kundenservice mehr und es wird auch noch häufiger bestellt. Warum sollten Sie also etwas ändern?

Nun, zunächst sind Sie seit dem 28. Juni 2025 gesetzlich dazu verpflichtet. Seitdem gilt nämlich das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Es verpflichtet Unternehmen dazu, ihre digitalen Produkte barrierefrei zu gestalten. So sollen alle Menschen gleichberechtigten Zugang zu Angeboten wie Webshops, Webseiten oder Messenger-Diensten erhalten. Alleine in Deutschland sind nämlich etwa 13 Millionen Menschen aufgrund von Behinderungen oder Alter auf barrierefreie Inhalte angewiesen. Auch Analphabet*innen oder Menschen mit geringen Deutschkenntnissen profitieren davon. 

KI als Booster für Barrierefreiheit?

Um Barrierefreiheit zu fördern, wird immer öfter auch Künstliche Intelligenz eingesetzt. Zum Beispiel, um Filme und Videos auf Plattformen wie Netflix oder YouTube automatisch zu untertiteln. Oder um Texte in Einfache oder Leichte Sprache zu übersetzen. KI-Anwendungen können Bilder beschreiben, Texte vorlesen oder Gesprochenes live transkribieren. Das ist für viele Menschen sehr hilfreich und macht Inhalte und Angebote zugänglicher. 

Gleichzeitig gibt es aber auch viele KI-Anwendungen, die nicht ausreichend barrierefrei sind. Das kann unterschiedliche Gründe haben: Menüs sind nicht gut lesbar, es fehlt eine Option für Einfache oder Leichte Sprache, die Navigation funktioniert nur per Maus. Das führt dazu, dass diese Angebote nicht von allen Menschen in unserer Gesellschaft genutzt werden können – oder nur eingeschränkt. Barrierefreiheit ist im Zusammenhang mit KI zu oft noch eine Nebensache.

Das Titelblatt des Dritten Testberichts zu barrierefreien Onlineshops

Studie: Wie barrierefrei sind deutsche Angebote?

Die Aktion Mensch hat gemeinsam mit Google zum bereits dritten Mal getestet, wie barrierefrei deutsche Webshops sind. Wie in den vergangenen Jahren zeigt der Testbericht nach wie vor: Das Internet, und vor allem Webseiten von gewerblichen Anbietern, sind zu einem großen Teil nicht barrierefrei nutzbar.

  • Veröffentlicht: 17.06.2025
  • 46 Seiten
  • Dateigröße: 2,77 MB

Drei Voraussetzungen für barrierefreie KI

Welche Voraussetzungen müssen also erfüllt sein, damit KI-Anwendungen wirklich barrierefrei sind? Wie können wir KI einsetzen, um von Beginn an gute barrierefreie Lösungen zu schaffen, anstatt rückwirkend schlechte Lösungen zu reparieren? Grundsätzlich sind dafür vor allem drei Dinge wichtig: technische Standards, klare Regeln und inklusive Entwicklungsprozesse.  

Technische Barrierefreiheit

Barrierefreie KI beginnt mit der Einhaltung etablierter Standards. Die Web Content Accessibility Guidelines  (WCAG) zum Beispiel sind ein solcher Standard. Sie definieren, welche technischen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit digitale Inhalte für alle nutzbar sind. KI-Anwendungen sollten diese Prinzipien von Anfang an berücksichtigen. Das bedeutet: klare Bedienoberflächen, anpassbare Einstellungen und kompatible Ausgaben für verschiedene Hilfsmittel. Solche Standards sind die Basis dafür, dass KI von allen genutzt werden kann.

Die Webcontent Accessibility Guidelines (WCAG)

Die Webcontent Accessibility Guidelines (WCAG) sind Regeln. Sie sollen sicherstellen, dass digitale Angebote für alle Menschen gut nutzbar sind. Sie sind ein weltweiter Standard für Barrierefreiheit im Internet. Die WCAG haben vier Grundsätze:

  1. Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen so gestaltet sein, dass alle sie sehen oder hören können. Bilder müssen zum Beispiel eine Textbeschreibung für blinde Menschen haben.
  2. Bedienbarkeit: Webseiten müssen mit verschiedenen Eingabemöglichkeiten nutzbar sein. Man sollte Seiten also zum Beispiel nicht nur mit der Maus bedienen können.
  3. Verständlichkeit: Texte, Menüs und Funktionen müssen klar und einfach gestaltet sein. Formulare sollen zum Beispiel einen klaren Hinweis geben, wenn etwas falsch eingegeben wurde.
  4. Robustheit: Inhalte sollen mit unterschiedlichen Browsern und Hilfsmitteln zuverlässig funktionieren. Eine Webseite sollte zum Beispiel mit verschiedenen Screenreadern kompatibel sein.

Klare Regeln und Gesetze

In einer idealen Welt ist Barrierefreiheit eine Selbstverständlichkeit. Oft wird sie aber als zusätzliche Belastung wahrgenommen. Barrierefreie Lösungen zu entwickeln kostet Zeit und Geld. Die Versuchung ist deshalb groß, nur das Nötigste zu tun, um für ein Minimum an Barrierefreiheit zu sorgen. Es braucht also Gesetze, die vorschreiben, was dieses Minimum ist. Dazu gehört zum Beispiel das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. 

Auch die Europäische KI-Verordnung (KI-VO) fordert digitale Barrierefreiheit und barrierefreie Nutzeroberflächen als Standard. Entwickler*innen und Entscheidungsträger*innen sollen für Barrierefreiheit sensibilisiert werden – zum Beispiel durch Schulungen.

Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Am 28. Juni 2025 ist ein neues Gesetz in Kraft getreten. Das Gesetz heißt Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Es soll dabei helfen, bestimmte Produkte und Anwendungen barrierefreier zu machen. Geldautomaten, Messenger-Dienste oder Webseiten von Banken beispielsweise. Geldautomaten müssen dann etwa eine Sprachausgabe haben. Webseiten müssen besser bedienbar sein. Für Menschen mit Behinderung soll es einfacher werden, diese Dinge zu nutzen. Das Gesetz betrifft Hersteller*innen, Händler*innen und Dienstleister*innen. Es verpflichtet zum ersten Mal die private Wirtschaft, Vorgaben zur Barrierefreiheit einzuhalten. Wer sich nicht daran hält, muss mit Geldbußen von bis zu 100.000 Euro rechnen.

Die Europäische KI-Verordnung

Die Europäische Union hat eine neue Verordnung für Künstliche Intelligenz beschlossen. Eine Verordnung ist ein Gesetz, das für alle Mitgliedsstaaten gilt. Die EU sagt: Je größer die Gefahr durch ein KI-System ist, desto strenger sind die Regeln für den Einsatz. In der Verordnung gibt es vier Gruppen von KI-Systemen:

  1. Verbotene KI: Manche KI-Systeme sind verboten. Das gilt für Künstliche Intelligenz, die dazu eingesetzt werden kann, Menschen zu täuschen oder sie zu benachteiligen. Ein Beispiel: Ein KI-Programm, mit dem man an öffentlichen Orten Gesichter erkennen und Menschen überwachen kann, ist verboten. 
  2. Hochrisiko-KI: Diese KI-Systeme sind erlaubt, aber nur mit strengen Regeln. Dazu gehört, dass transparent und erklärbar sein muss, wie die Systeme funktionieren. Zum Beispiel, wenn ein KI-System in einer Schule eingesetzt wird, um Schüler*innen zu bewerten. 
  3. KI mit geringem Risiko: Manche KI-Systeme sind weniger gefährlich. Dazu gehören zum Beispiel Chatbots. Oder KI-Systeme, die Inhalte sortieren. Für sie gelten weniger strenge Regeln. Zum Beispiel, dass erkennbar sein muss, dass man mit einem Chatbot spricht oder ein Inhalt mit KI erstellt wurde.
  4. KI ohne Risiko: Für einfache KI-Systeme, von denen kein Risiko ausgeht, gelten keine Einschränkungen. Sie können frei genutzt werden. Einfache Service-Bots zum Beispiel.

Es gibt allerdings Kritik an der KI-Verordnung. Barrierefreiheit ist nämlich kein verpflichtendes Kriterium für alle KI-Systeme. Außerdem ist noch unklar, wer überwacht, dass die Vorgaben der Verordnung wirklich umgesetzt werden. Initiativen wie das European Disability Forum (EDF) bemängeln das . Sie fordern, dass Menschen mit Behinderung in die Gestaltung und Kontrolle von KI eingebunden werden. Außerdem soll es barrierefreie Möglichkeiten geben, sich über KI-Systeme zu beschweren und Verbesserungen vorzuschlagen. Daran mangelt es nämlich bisher. Das EDF hat deshalb einen Leitfaden erstellt. Er soll dabei helfen, die KI-Verordnung im Sinne von Menschen mit Behinderung umzusetzen und zu verbessern. Zum Beispiel, indem sie mit bestehenden Gesetzen in Deutschland, wie dem Behindertengleichstellungsgesetz , verknüpft wird.

Abseits von Gesetzen können auch eigene Regeln aufgestellt werden, um Barrierefreiheit zu fördern. Der britische Fernsehsender BBC macht es vor: Er hat eigene Leitlinien für Diversität und Inklusion aufgestellt. Mithilfe von KI möchte der Sender barrierefreie Angebote zum Standard machen : automatisierte Untertitel bei Live-Übertragungen, Audiodeskriptionen oder eingeblendete Gebärdensprache zum Beispiel.

Barrierefreiheit von Anfang an

Technische Lösungen und Gesetze sind wichtig. Genauso wichtig ist aber, dass Inklusion bereits in der Entwicklung von KI gelebt wird. Lösungen für Barrierefreiheit werden häufig von Menschen entwickelt und verkauft, die selbst nicht darauf angewiesen sind. Das Problem: Sie können nicht immer beurteilen, ob ihre Anwendungen wirklich sinnvoll sind. Deshalb müssen Menschen mit Behinderung in den Entwicklungsprozess einbezogen werden. Um Tools zu testen und wertvolles Feedback zu geben. Um Bedürfnisse zu äußern und Wissenslücken zu schließen. Nur so können wirklich praktische, sinnvolle und vor allem funktionierende barrierefreie Lösungen entstehen. Dahinter verbirgt sich natürlich auch eine gesellschaftliche Aufgabe: Es braucht diversere Entwickler*innen-Teams

Wie kann das gelingen? Einige Akteure gehen mit gutem Beispiel voran. Die Aktion Mensch etwa hat gemeinsam mit der Hochschule Bielefeld das Tool ABLE entwickelt. ABLE kann mithilfe von KI testen, ob Chatbots diskriminierende Sprache verwenden. Um das Tool zu entwickeln, haben Forschende und Menschen mit unterschiedlichen Behinderungserfahrungen in Workshops zusammengearbeitet. Auch das Projekt KI-Kompass Inklusiv möchte Barrieren abbauen. In verschiedenen “Reallaboren” wird zum Beispiel untersucht, wie KI-gestützte Assistenzsysteme erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden können. In den Laboren arbeiten Entwickler*innen, Menschen mit Behinderung und andere Stakeholder gemeinsam an barrierefreien Lösungen. 

Barrierefreie KI: Was gut läuft und was nicht 

Es ist schön zu beobachten, dass Barrierefreiheit mehr Aufmerksamkeit bekommt. Gesetze wie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz tragen ihren Teil dazu bei. Dennoch läuft einiges noch nicht ganz rund – gerade auch mit Blick auf Künstliche Intelligenz. Im Folgenden geben wir einen kleinen Überblick über positive und negative Entwicklungen im Bereich KI und Barrierefreiheit.  

Was läuft gut?

Große Sprachmodelle wie GPT5 oder Gemini bieten eine sehr gute Bilderkennung. In Kombination mit Screenreadern können sie bereits sehr genau analysieren, was auf einem Bildschirm zu sehen ist. Das kann zum Beispiel hilfreich sein, um zu beschreiben, wie eine Programmoberfläche aussieht. Auch Fotos, die mit dem Smartphone gemacht wurden, können von KI-Modellen beschrieben werden. Dazu werden sie in der Regel in einen Chatbot, oder spezielle Apps wie SeeingAI  hochgeladen. Ein Bot kann neben der Bildbeschreibung auch weitere nützliche Informationen ausgeben. Beim Museumsbesuch oder im Supermarkt kann das sehr hilfreich sein und ganz neue Zugänge ermöglichen. 
KI kann dabei helfen zu testen, wie barrierefrei digitale Produkte sind. Die Anwendung a11y- AI (gesprochen: Ally AI) zum Beispiel kann mithilfe generativer KI unterschiedliche Personas erstellen. Diese Personas simulieren Menschen mit unterschiedlichen Behinderungserfahrungen. Mit ihnen können Produkte dann auf verschiedene Anforderungen getestet werden. So kann man zum Beispiel herausfinden, wie gut sich eine Webseite aus Perspektive einer Person mit einer Sehbehinderung bedienen lässt. Oder was bei einem Webshop für Menschen wichtig ist, die keine Maus bedienen können. Das Programm fasst seine Ergebnisse in einem Testbericht zusammen. Dieser ist wie ein Erfahrungsbericht aus der Perspektive der jeweiligen Person geschrieben. 
Automatisch erstellte Untertitel sind mittlerweile weit verbreitet. Streaming Plattformen wie Netflix oder YouTube bieten zu beinahe allen Inhalten Untertitel an. Immer mehr Inhalte lassen sich sogar von einer Sprache in eine andere übersetzen. Auch auf Social Media sind automatisch generierte Untertitel zunehmend Standard. Gleiches gilt für viele Live-Streaming Angebote. Allerdings gibt es bei Untertiteln, die nicht nochmal redaktionell geprüft werden, einige Einschränkungen zu beachten (siehe weiter unten).
Angebote wie summ.ai  oder capito.ai  machen KI-generierte Übersetzungen in Einfache oder Leichte Sprache möglich. Die Tools haben die Regeln gelernt, die für Einfache und vor allem Leichte Sprache gelten. Sie können komplizierte und lange Texte analysieren und Verbesserungsvorschläge machen. Auch einige Chatbots sind dazu in der Lage. Die Initiative Erwachsenenbildung Digital hat zum Beispiel sogenannte Custom GPTs  für Einfache und Leichte Sprache entwickelt. Sie sind frei verfügbar und lassen sich mit ChatGPT verbinden. Auch hier gilt aber: Die Ergebnisse sollten nochmal überprüft werden, um sicherzugehen, dass alles stimmt.

Was sind Custom GPTs?

Custom GPTs sind angepasste Versionen von ChatGPT. Sie können auf bestimmte Inhalte, Funktionen oder Zielgruppen angepasst werden. Dazu wird das Programm zum Beispiel angewiesen, nur auf bestimmte Inhalte und Dokumente zuzugreifen. Der Vorteil ist, dass man so besser steuern kann, wie der Chatbot antwortet. Seine Antworten werden dadurch weniger allgemein. Ein Custom GPT kann zum Beispiel eingesetzt werden, um Texte in Leichte Sprache zu übersetzen. Oder um einen Chatbot nur auf ein bestimmtes Fachgebiet zu beschränken: Inklusion oder Medizin zum Beispiel. Wer ein Custom GPT erstellen möchte, braucht dafür eine kostenpflichtige Version von ChatGPT

Einfache und Leichte Sprache

Einfache Sprache und Leichte Sprache sind oft verwendete Begriffe wenn es um Inklusion geht. Dabei gilt es eine Sache zu beachten: Einfache Sprache und Leichte Sprache sind nicht dasselbe. Auf der Webseite der Aktion Mensch erklären wir, was die Begriffe bedeuten, was dahinter steckt und wie sie sich unterscheiden. 

Was läuft noch nicht gut?

KI-Programme werden immer besser darin, Inhalte automatisch zu untertiteln. Trotzdem passieren auch immer noch Fehler: Wörter werden falsch oder gar nicht übersetzt, Stimmen werden nicht richtig zugeordnet oder erkannt. Gerade bei Live-Formaten kann es zu Ungenauigkeiten kommen. Zum Beispiel, wenn mehrere Menschen gleichzeitig sprechen. Ein weiteres Problem sind Wörter, die sehr ähnlich klingen: “kein” und “ein” zum Beispiel. Ob etwas “ein” Problem oder “kein” Problem ist, macht aber natürlich einen großen Unterschied. 
Das Gleiche gilt auch für die Bilderkennung. KI-Modelle werden immer besser und ihre Bildbeschreibungen immer präziser. Trotzdem kommt es auch hier immer wieder zu Fehlern. Ein Beispiel: Sie zeigen ChatGPT ein Foto einer Pressekonferenz. Das Programm beschreibt sehr genau, was auf dem Foto zu sehen ist: Männer und Frauen an Mikrofonen, Kameras und im Hintergrund das Logo eines Ministeriums zum Beispiel. Das Programm verrät aber nicht, wer auf dem Foto zu sehen ist. Es ist nämlich angewiesen, die Privatsphäre von Menschen zu schützen. Das ist zwar meistens gut, führt aber in diesem Fall dazu, dass Ihnen wichtige Informationen vorenthalten werden.
Gerade blinde Menschen und Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen verlassen sich im Alltag oft auf Sprachassistenten – zum Beispiel auf ihrem Smartphone. Es kommt aber immer wieder vor, dass diese Assistenten Informationen nicht richtig wiedergeben oder sogar frei erfinden. Sie sind nicht dafür gemacht, Informationen zu überprüfen. Sprachassistenten haben außerdem immer noch Schwierigkeiten, Menschen mit eingeschränktem Sprachvermögen oder abweichender Sprache zu verstehen. 
Gehörlose oder schwerhörige Menschen sind neben Untertiteln oft auch auf Übersetzungen in die Gebärdensprache angewiesen. Diese hat ganz eigene grammatikalische Regeln. Mittlerweile ist es möglich, mithilfe von KI sogenannte Gebärdensprach-Avatare zu generieren. Diese virtuellen Figuren sollen eingesetzt werden, um in Gebärdensprache zu übersetzen. Sie sind allerdings umstritten. Der Deutsche Gehörlosenbund rät in einer Stellungnahme sogar dringend davon ab, sie einzusetzen. Die Avatare seien unverständlich, ihre Übersetzungen zu ungenau. Außerdem seien die Programme nicht durch qualifizierte Personen oder Mitglieder der Community geprüft worden. Die Community selbst fühlt sich durch die Avatare nicht richtig repräsentiert.
Overlays sind Lösungen, die nachträglich für mehr Barrierefreiheit sorgen sollen. Sie werden einem bestehenden Produkt quasi “übergestülpt”. So können sie etwa von den Betreiber*innen eines Webshops hinzugebucht werden, um nachträglich bestimmte Anforderungen an Barrierefreiheit zu erfüllen. Viele dieser Lösungen werden allerdings von Menschen ohne Behinderungserfahrungen entwickelt. Kritiker*innen sagen deshalb , dass Overlays Probleme nicht lösen, sondern nur verstecken. Schlecht gemacht, können sie sogar dazu führen, dass Webseiten unbedienbar werden. Zum Beispiel, weil automatisiert erzeugte Alternativtexte unverständlich oder fehlerhaft sind. Oder weil alternative Navigationsmöglichkeiten nicht richtig funktionieren. Eine weitere Gefahr ist, dass Unternehmen zum Beispiel keine Verantwortlichen für Barrierefreiheit mehr einstellen. Sie können sich eine vermeintliche Lösung günstig kaufen. 

Barrierefreiheit: Eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft

Barrierefreiheit ist kein technisches Problem, das sich mit Künstlicher Intelligenz lösen lässt. Sie ist eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Wir dürfen außerdem nicht vergessen: Viele der Modelle, auf denen KI-Anwendungen aufbauen, haben selbst ein Problem mit Ableismus und Diskriminierung. Ihre Datengrundlage ist voll von diskriminierenden Annahmen. Wenn sie also unhinterfragt eingesetzt wird, um vermeintlich barrierefreie Lösungen zu bauen, kann das nach hinten losgehen. Je mehr schlecht gemachte, KI-generierte Accessibility-Lösungen es gibt, desto schwieriger wird es außerdem, gute Angebote zu finden. Ganz ähnlich ist es bereits mit anderen KI-generierten Inhalten: Je mehr schlechte und falsche KI-Inhalte das Internet fluten, desto schwieriger wird es, hilfreiche und verlässliche Informationen zu finden.

Das soll aber nicht heißen, dass wir auf KI-gestützte Lösungen verzichten sollten. Künstliche Intelligenz bietet vielfältige Möglichkeiten, Barrierefreiheit neu zu denken. Viele neue Lösungen für Barrierefreiheit werden durch KI überhaupt erst möglich. Es sollte aber der Leitsatz gelten: Nichts über uns ohne uns! Menschen mit Behinderung sollten Digitale Barrierefreiheit mitgestalten. Dazu gehört, dass Unternehmen mit Accessibility-Expert*innen und Menschen mit unterschiedlichen Behinderungserfahrungen zusammenarbeiten. Es braucht eine Bereitschaft, Menschen auszubilden und zu sensibilisieren. Es braucht Expert*innen, die Lösungen mitgestalten und bewerten können.

Echte Barrierefreiheit bedeutet Arbeit. Sie ist ein fortlaufender Prozess, der sich an technische und gesellschaftliche Veränderungen anpassen muss. Wenn wir es richtig machen, profitieren wir am Ende alle: Je mehr Menschen Zugang zu digitalen Angeboten haben, desto besser werden sie. 

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