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Schwieriger Fall: Mit Behinderung im Krankenhaus

Die Betreuung von Menschen mit Behinderung bei stationären Krankenhausaufenthalten ist bis heute finanziell und rechtlich nicht ausreichend geregelt. Erste Beschlüsse gehen in die richtige Richtung, doch lösen das Problem noch nicht.
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„Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen“, so fordert es Paragraf 2a des Sozialgesetzbuchs V  zur gesetzlichen Krankenversicherung. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 25)  haben die Vertragsstaaten zudem „das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ anerkannt. Theoretisch stünde also allen Patient*innen bei einem klinischen Aufenthalt eine gleich gute Versorgung zu — unabhängig von ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Doch in der Praxis ist vor allem Letztere häufig der Grund für eine weit schlechtere Versorgung. 

Schlechtere Versorgung im Krankenhaus: Was läuft schief?

Gestresste Ärzte und Pflegekräfte in Zeitnot, (zu) schnell durchgeschleuste Patienten, Verpflegung auf Niedrigstniveau — systemische Missstände gibt es in Krankenhäusern zur Genüge. Tatsächlich hat sich die Situation der Patient*innen merklich verschlechtert, seit sie als Fallpauschalen behandelt werden und die Kliniken unter Profit-Druck stehen.

Wenn erwachsene Patient*innen mit schwerer geistiger Einschränkung oder komplexer Behinderung ins Krankenhaus müssen, bringen solche Bedingungen noch ganz andere Probleme mit sich. Denn wer sorgt in der für sie oft als bedrohlich empfundenen fremden Umgebung für die nötige emotionale Stabilität? Wer hilft ihnen geduldig bei der praktischen Bewältigung alltäglicher Verrichtungen? Wer erläutert ihre manchmal für Außenstehende schwer verständliche Sprache, Mimik, Gestik? Und wer achtet darauf, dass die Behandlung und Pflege wirklich in ihrem Sinne erfolgt?

Mehraufwand und oft keine ausreichende Qualifizierung in der Pflege

Das Pflegepersonal ist damit meist überfordert. Abgesehen von notorischem Zeitmangel und davon, dass der erforderliche Mehraufwand an Pflege nicht von den Fallpauschalen abgedeckt wird, verfügen Ärzt*innen und Pflegekräfte in der Regel auch nicht über die entsprechende Qualifizierung, um auf die besonderen Bedarfe dieser Patient*innen eingehen zu können.

In der Folge unterbleiben dann schon mal notwendige Untersuchungen und Behandlungen, werden Symptome fehlgedeutet und Gesundheitsstörungen nicht erkannt. Es kommt zu vorzeitigen Entlassungen, ohne immer sicherzustellen, wer sich im Anschluss um die Patient*innen kümmert. Auch kommt es vor, dass vermeidbare freiheitsentziehende Maßnahmen, wie Sedierung und Fixierung angeordnet werden, weil das Personal keine Kapazitäten hat, sich um die Patient*innen zu kümmern. Nicht selten werden solche Maßnahmen und damit verbundene dringende Untersuchungen aber auch unterlassen. Denn ihre korrekte Ausführung erfordert die Einhaltung aufwändiger Richtlinien: die richterliche Genehmigung, bzw. Einwilligung der rechtlichen Betreuungsperson, den Nachweis über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und deren Dauer sowie die fachgerechte Durchführung, zu der auch eine Eins-zu-Eins-Betreuung gehört. Beides — eine nicht erforderliche Fixierung, ebenso wie eine unterlassene gebotene Fixierung — kann Schadenersatz- oder Schmerzensgeldansprüche nach sich ziehen.

Aus Krankenhaussicht stören Patient*innen mit besonderen Bedarfen die knapp bemessenen Abläufe im Routinebetrieb. Glück im Unglück haben diejenigen unter ihnen, die während ihres Klinikaufenthalts zumindest von Angehörigen umsorgt werden, die aufpassen und Pflegetätigkeiten übernehmen.

Begleitperson im Krankenhaus: Kostenübernahme

Angehörige leisten solche Dienste in der Regel unentgeltlich. Den meisten ist nicht bekannt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Mitaufnahme einer Begleitperson übernehmen können, wenn diese für den Heilerfolg aus medizinischen Gründen notwendig ist (§ 11 Absatz 3 SGB V ). Zu solchen Gründen zählen auch Einschränkungen von Patient*innen, die eine ständige Begleitung und Betreuung erfordern. Etwa weil keine ausreichende Verständigung möglich ist und es an der nötigen Kooperation von Patient*innen bei Untersuchungen mangelt. Die medizinische Notwendigkeit einer Begleitperson muss dann vom einweisenden Arzt oder der einweisenden Ärztin vermerkt und vom zuständigen Krankenhausarzt oder der zuständigen Krankenhausärztin bestätigt wird.

Wirklich gut funktioniert die Kostenübernahme einer Begleitperson aus medizinischen Gründen jedoch nur bei Kindern. Für die Begleitung erwachsener Patient*innen werden solche Kosten weit seltener übernommen. Ein neuer Beschluss, den die Bundesregierung im Juni 2020 gefasst hat, soll dies nun ändern. Durch eine genau Zuweisung der Kostenträger erhalten demnach Begleitpersonen künftig deutlich einfacher eine Kostenübernahme. Angehörige sollen nach dem Beschluss des Kabinetts die Kosten für die Betreuung eines Angehörigen im Krankenhaus durch die Krankenkassen erstattet bekommen.

Betreuung durch Pflegekräfte im Krankenhaus

Als Begleitperson können theoretisch auch Pfleger*innen aus der Wohneinrichtung des Patienten oder der Patientin fungieren. Übernehmen diese die Betreuung im Krankenhaus, tragen nach den neuen Vorgaben der Bundesregierung die Träger der Eingliederungshilfe die Kosten. Eine Begleitung im Krankenhaus gehört jedoch meistens nicht zum Leistungsumfang des ambulant betreuten Wohnens oder Pflegeheims.

Dass es nun zu diesen Regelungen gekommen ist, geht auf einen gemeinsamen Appell von Patientenbeauftragten, Pflegebevollmächtigten und Behindertenbeauftragten zurück. Nun fehlt noch die entsprechende Gesetzgebung. Jürgen Dusel, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung zeigt sich optimistisch: „Hier waren dicke Bretter zu bohren. Nachdem die Bundesregierung ihren Job gemacht hat, ist nun der Gesetzgeber am Zug. Ich bin zuversichtlich, dass das Gesetz noch in dieser Wahlperiode verabschiedet wird.“

Menschen, die selbstständig leben und persönliche Assistent*innen nach dem sogenannten Arbeitgebermodell beschäftigen, haben es da besser. Seit der Verabschiedung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Jahr 2009 haben sie einen Rechtsanspruch auf die Fortzahlung der Vergütung ihrer Assistent*innen, wenn diese für sie als Begleitpersonen im Krankenhaus tätig sind.

„Wir müssen die inklusive Gesundheitsversorgung deutlich stärken“

Dr. Jörg Stockmann ist einer der wenigen Ärzt*innen in Deutschland, die sich eingehend mit der Behandlung von Menschen mit komplexen Behinderungen beschäftigen. Im Interview erklärt er, welche Schritte notwendig sind, um die Versorgung von Menschen mit Behinderung zu verbessern.

Hier geht es zum Interview

Rechtsanspruch Betreuung im Krankenhaus: Forderung nach gesetzlicher Neuregelung

Dumm nur, dass die wenigsten Menschen mit geistiger oder schwerer körperlicher Behinderung Assistent*innen im Arbeitgebermodell beschäftigen (können). Experten fordern daher schon lange, dass dieser Rechtsanspruch auf alle Patient*innen ausgeweitet wird, die während eines Klinikaufenthalts auf eine verlässliche Betreuung angewiesen sind. Der Bundesverband Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V. (ForseA) forderte dies bereits 2006 im Rahmen seiner Kampagne "Ich muss ins Krankenhaus ... und nun?", die von der Universität Witten-Herdecke wissenschaftlich begleitet und von Ottmar Miles-Paul, Helmut Budroni als Pflegewissenschaftler sowie Oliver Tolmein als juristischer Berater unterstützt wurde. 2020 wurde die noch offene Forderung auch von weiteren Vereinen und Verbänden wieder aufgenommen.

Konsequenzen in der Aufnahme von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus

Bis jetzt blieben die Forderungen ohne Erfolg. Dabei ist klar, dass Patient*innen mit komplexer Behinderung auch während eines klinischen Aufenthalts auf eine verlässliche persönliche Betreuung angewiesen sind. Ebenso klar ist, dass das Krankenhauspersonal diese unter den derzeitigen Bedingungen nicht leisten kann. Dies hat sogar dazu geführt, dass manche Krankenhäuser erwachsene Patient*innen mit schweren Behinderungsformen nur dann aufnehmen, wenn diese eine Betreuungsperson mitbringen, die für sie rund um die Uhr zur Verfügung steht. Zwar können sie Patient*innen nicht kategorisch abweisen. Doch wenn diese nicht kooperieren (können), kann man halt aus Ärzt*innen-Sicht eben auch manchmal einfach nichts machen.

Forderung: Finanzierung für Begleitung im Krankenhaus

Nicht umsonst mahnen Experten, Politiker, Behindertenverbände und Vertreter der Behindertenselbsthilfe schon seit Jahren an, dass die Finanzierung für die Begleitung von Menschen mit Assistenzbedarf im Krankenhaus neu geregelt werden muss. Im November 2020 forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, eine Lösung zu finden. Im März 2021 forderten der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Claudia Schmidtke, und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus in einem gemeinsamen Schreiben an Abgeordnete der Koalitionsparteien noch in dieser Legislaturperiode eine entsprechende gesetzliche Regelung vorzulegen und zu verabschieden. Mit Beschluss vom 22. April 2021 forderte auch der Bundestag eine Klärung von der Regierung. Wann diese erfolgt, bleibt abzuwarten.

Besondere Bedarfe der Patient*innen mit geistiger und/oder schwerer Mehrfachbehinderung

  • Grundlegend ist die Haltung den Patient*innen gegenüber. Es sollte ein wertschätzender und entgegenkommender Umgang sein, der von Respekt, Verständnis, Interesse, Geduld gekennzeichnet ist.
  • Krankheitssymptome bei Menschen mit geistiger Einschränkung entsprechen häufig nicht dem üblichen Schema. Daher wäre es wünschenswert, dass sich mehr Ärzt*innen in dieser Hinsicht weiterbilden. Ebenso wichtig sind Kenntnisse über spezielle Therapien, über Hilfsmittelversorgung, über nicht-medikamentöse Therapien und Rehabilitation sowie über Diätetik.
  • Bei einer Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit sind Patient*innen während eines Klinikaufenthaltes oft auf persönliche Betreuer*innen angewiesen, die sich für ihre Belange einsetzen. Wünschenswert wäre es, dass auch Ärzt*innen und Pflegepersonal entsprechende kommunikative Kompetenzen erwerben, damit Non-verbale Kommunikation gedeutet werden kann und einfache Sprache, Sprachcomputer oder andere Kommunikationshilfen genutzt werden können. Zum Beispiel eine Grafik zur Schmerzabfrage, die von einer Grafikerin entwickelt wurde, deren Tochter bei der Kommunikation auf Symbole angewiesen ist.
  • Die Grundpflege und die Unterstützung im klinischen Alltag beansprucht bei geistig und körperlich sehr eingeschränkten Patient*innen häufig mehr Zeit und Geduld, etwa für die Hilfe bei der Körperpflege, bei der Nahrungszubereitung und -darreichung, beim Umkleiden. Die Ressourcen hierfür fehlen häufig.
  • Aufgrund verlängerter Erholungs- und Heilungsprozesse erfordert die Behandlung von Menschen mit schwerer geistiger und/oder körperlicher Behinderung häufig einen längeren Krankenhausaufenthalt als bei anderen Patient*innen. Dies wird von den Fallpauschalen nicht berücksichtigt.
  • Freiheitsbeschränkende Maßnahmen, wie Sedierung, Fixierung oder das Legen einer Magensonde bei Nahrungsverweigerung sind rechtlich mit vielen Auflagen verbunden und nur dann zulässig, wenn weniger einschränkende Maßnahmen keinen Erfolg hatten oder wenn eine akute Gefährdung vorliegt, bei der Alternativen ebenfalls nicht erfolgversprechend erscheinen. Im Einzelfall ist es jedoch oft schwer nachzuweisen, ob eine akute Gefährdung vorlag und tatsächlich alle Alternativen ausgeschöpft wurden. Bei der Sedierung verlaufen die Grenzen zwischen therapeutischer Indikation und Absicht der „Ruhigstellung“ in der Praxis oft fließend. Ärzt*innen bewegen sich hier nicht selten in einer ethischen und rechtlichen Grauzone.

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