Das wir gewinnt

Ungewöhnliche Models

Mode, Werbung, Musikspots dürfen vor allem eins nicht sein: Langweilig! Und sie müssen uns überraschen. Was man von vielen Models nicht behaupten kann. Darum sind Models angesagt, die für Aufsehen und Hinsehen sorgen: Auffällig, anders und (schön) normal!?
Warenkorb (0)
Mann im Unterhemd mit bleicher Haut und unverwechselbarem Aussehen, von der Seite fotografiert
Schräger Typ – wenn einer diesen Titel verdient hat, dann Del. An ihm ist alles irgendwie schräg, schief und krumm: Zähne, Nase, Haltung. Nein, dass Del alias Derrick Keens schön ist, würde man nicht auf Anhieb sagen. Model ist der Engländer trotzdem – oder gerade deshalb. Denn Del ist ein Typ mit Ausstrahlung, der als Charakterkopf für Calvin Klein, Diesel und Levis Werbung gemacht hat und mittlerweile seine eigene Model-Agentur in Berlin  hat: In seiner Kartei sind allesamt Models, die ihre Andersartigkeit zelebrieren. Denn wer sagt eigentlich, was schön ist? Und was nicht? Und damit ist Del mit seiner Crew längst nicht mehr allein. Vielleicht passiert es noch zaghaft, aber zwischen den immer gleichen Figuren und Gesichtern, begegnen uns auch solche, die – eben irgendwie „anders“ sind. Und dabei geht es nicht nur um den „Freak-Bonus“, sondern um das Spannende an Schönheit.

Anders schön

Sechs Models haben uns erzählt, was das Modeln für sie bedeutet, wie schön sie sich fühlen und ob das schon immer so war.
Foto einer im Arm – und Schulterbereich über und über bunt tätowierten, stark geschminkten jungen Frau.

Schön bedeutet für mich nicht makellos zu sein. Perfektion finde ich langweilig.

LexyHell, 29
"Ich war schon immer anders als andere, habe mich als Außenseiter gefühlt. Viele halten meine Tattoos für einen PR-Gag oder Provokation. Dabei hatte ich schon mit 16 meine Haut verplant. „Wenn man jung ist, sieht es schön aus, aber was machst du, wenn du alt bist?!“ – den Spruch kann ich nicht mehr hören. Ich habe meine Tattoos nicht, um anderen zu gefallen, sondern nur für mich – sie geben mir Selbstbewusstsein, und ich fühle mich in meinem Körper wohler. Und als Model habe ich so einen großen Wiedererkennungswert. Ein wenig Selbstschutz ist wohl auch dabei, um Leute auf Abstand zu halten. Dennoch muss ich mich ständig rechtfertigen, warum ich so tätowiert bin, und gegen Vorurteile kämpfen. Schönheit bedeutet für mich nicht die perfekten Maße zu haben und makellos zu sein. Perfektion finde ich langweilig.“

Mittlerweile setze ich meine Prothese auch bewusst ein, um Aufmerksamkeit zu erregen.

​Mario Galla, 30
"Viele kennen mich als das Model mit der Beinprothese. Als ich 2010 die Chance hatte auf der Berliner Fashion Week in kurzen Hosen über den Laufsteg zu gehen, habe ich sie genutzt. Da musste ich meine Prothese als Model nicht länger kaschieren, was vorher drei Jahre lang der Fall war. Mittlerweile setze ich meine Prothese auch bewusst ein, um Aufmerksamkeit zu erregen, wie für die Anti-Pelz-Kampagne einer Tierschutzorganisation. Inzwischen halte ich es für ein cooles Markenzeichen. Ich habe festgestellt, dass es klüger ist, sie nicht zu kaschieren, sonst macht man sich angreifbarer. In der Schule gab’s schon Hänseleien, aber ich habe mich selbst nie ausgegrenzt oder gedacht, dass ich anders bin als andere. Dass ich mal als Model arbeiten würde, hätte ich nie gedacht. Für mich waren das immer Typen mit zurückgegelten Haaren und Sixpack. Ich will zeigen, dass ich Modeljobs auch mit Prothese kriege und man locker mit einer Behinderung umgehen kann. Mit einer Beinprothese kommt man überall hin, auch bis nach oben in der Modewelt.“
Mario Galla, Model mit Beinprothese, auf dem Laufsteg
Model Hannah Vila sitzt im Rollstuhl vor Ziergarten, trägt ein rotes Sommerkleid und hält japanischen Sonnenschirm.

Schönheit ist für mich nicht nur das Aussehen. Es geht viel mehr um Ausstrahlung.

Hannah Vila, 20
"Ich wurde bei einem Shooting zu einem Projekt von Frauen mit Muskelschwäche entdeckt. Ich selbst hätte mich niemals bei einer Modelagentur beworben. Zuerst war ich skeptisch, habe mir das nicht zugetraut. Ich bin nicht so gelenkig wie andere Models und stoße auch schon mal an meine Grenzen. Aber Schönheit ist für mich nicht nur das Aussehen. Es geht viel mehr um Ausstrahlung. Die hat man, wenn man sich in seinem Körper wohlfühlt. Und ich fühle mich gar nicht anders, sondern als ganz normales Mädchen, das über den Catwalk fährt, statt zu laufen. Dieses Jahr war ich sogar bei der Mercedes-Benz Fashion Week dabei. Mein Traum! Designer sollten noch viel offener werden und öfter Models mit Behinderung für ihre Shows und Fotoshootings buchen. Damit würden sie zeigen, dass man nicht perfekt sein muss und ein Rollstuhl kein Hindernis ist!“

Heute bin ich entspannt, was meine Figur angeht und fühle mich mit meinen Kurven schön. Denn es gibt nicht nur einen perfekten Körper.

Silvana Denker, 29
"Dass ich als Model arbeite, können viele nicht glauben. Ich präsentiere Kleidergröße 42/44, wiege zurzeit 85 Kilogramm und bin ein Plus Size Model, wobei ich die Bezeichnung nicht mag, da sie für mich abwertend klingt. Ich bin ein Model, mache den gleichen Job, warum also die Unterscheidung? Ich muss genauso diszipliniert sein, Sport machen und auf meine Ernährung achten. Als junges Mädchen habe ich 36/38 getragen und fühlte mich zu dick und war mit meinem Körper unzufrieden. Heute bin ich entspannt, was meine Figur angeht und fühle mich mit meinen Kurven schön. Denn es gibt nicht nur einen perfekten Körper, sondern viele verschiedene perfekte Körper, ob Größe 36 oder 52. Das erkennen auch immer mehr Labels. Ich würde gerne Modenschauen sehen, bei denen alle Größen laufen – die Zeit ist reif für mehr Vielfalt!“
Für ein Model füllige junge Frau posiert in einem rotgepunkteten Kleid
Mann mit Brille und Halbglatze, unrasiert, bleich im Unterhemd - ein Misfit-Model

Ich muss nicht allen gefallen, manche finden mich gut, andere können nichts mit mir anfangen.

Boris, 39
"Mein Aussehen erinnert einige an Woody Allen oder den zerstreuten Professor. Es ist gut, dass ich solche Phantasien und eine Reihe von anderen Assoziationen auslöse – darum werde ich von Werbeagenturen und für Anzeigenmotive gebucht. Ich selbst sehe mich als Typ Außenseiter, schüchtern, nachdenklich, das kommt auch schon nah dran, wie ich bin. Ich musste für eine Kampagne schon mal Netzstrümpfe, BH und Lippenstift tragen – damit habe ich vor der Kamera kein Problem. Als Jugendlicher war ich nicht glücklich und habe mit meinem Aussehen gehadert. Jetzt bin ich zufrieden und finde mich okay – ich muss nicht allen gefallen, manche finden mich gut, andere können nichts mit mir anfangen. Es wird komplizierter, wenn man anders ist. Aber man ist auch individuell und geht garantiert nicht in der Masse unter.“

Auch wenn ich heute einer biologischen Frau sehr nahe komme und mich 100-prozentig wie eine fühle, bin ich noch immer anders.

Elina, 22
„Dass ich Model werden will, wusste ich mit 14 – im Rampenlicht stehen, über den Catwalk laufen, fotografiert werden – dafür brenne ich! Ich bin transsexuell, medizinisch und rechtlich eine Frau, kam aber als Junge zur Welt. Auch wenn ich heute einer biologischen Frau sehr nahe komme und mich 100-prozentig wie eine fühle, bin ich noch immer anders: Ich finde, ich sehe androgyn aus, meine Hüften sind okay, aber den Taillenumfang kriege ich nicht hin. Mir ist klar, dass ich durch mein Aussehen und meine Maße ein spezieller Typ bin. Gerade weil ich nicht das klassische Model bin, hat mich keine konventionelle Agentur aufgenommen. Ich werde nicht aufgeben und meinen Weg gehen. Am liebsten mit Trans-Gendermodels wie Andreja Pejić und Lea T., die schon für Gautier und Givenchy gelaufen sind. Sie sind meine Vorbilder.“
Das transsexuelle Model Elina posiert in langem blauem Kleid auf einer Felstreppe
Text und Protokolle: Anja Schimanke