Das wir gewinnt

Hanteln hoch: Schwitzen Jungs fürs Schönsein?

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Mädchen haben Beauty-Stress, während Jungs sich entspannt zurücklehnen – Ja? Wirklich? Und woher kommen dann die ganzen Typen, die täglich im Fitness-Studio schwitzen, sich auf dem Platz trimmen und sogar mit Aufbaudrinks nachhelfen? Wir haben nachgefragt: Jungs, warum macht ihr das?
Portrait eines muskulösen Teenagers im Muskelshirt vor Grafitti-Ziegelwand
Muskeln: sehen nicht schlecht aus, machen aber Arbeit. Und geht "schön" nicht auch anders? JAM! hat nachgefragt: Jungs, warum macht ihr das?
Die Augen fest zusammengekniffen, die Halsschlagader dick wie ein Regenwurm. „Uuaah“, mit einem Ruck zerrt Tristan die 100 Kilogramm-Gewichte in die Höhe. Überall an den Geräten stemmen, ziehen oder drücken Jungs Gewichte, ächzen und schnaufen. Tristan, 17, hat schon, bevor er ins Fitnessstudio ging, zu Hause trainiert: „Ich hatte einen kleinen Speckbauch, den ich loswerden wollte“, sagt er, während er sich mit dem Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischt.„ Ich ernähre mich vegan, achte auf meine Gesundheit und meinen Körper. Zufrieden bin ich noch nicht, obwohl mir viele sagen, dass ich breit geworden bin.“ Tristan, der Sport als Leistungskurs hat, steht auf Muskeln. Seine Freundin auch, aber bitte nicht mehr davon.

Früher haben Jungs mit ihren Klamotten Reaktionen beim anderen Geschlecht hervorgerufen. Heute ist es der Körper.

Michael Sauer, Sportwissenschaftler 

Wirklich unzufrieden sind die meisten Jungs, die hier trainieren nicht. Optimierung ist das Zauberwort. Es geht um ein bisschen mehr Muckis hier, ein paar Zentimeter mehr dort, weiß Michael Sauer vom Institut für Dopinganalytik der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Sportlichkeit ist jedenfalls nicht der Hauptgrund, sondern die Ästhetik. Früher haben Jungs mit ihren Klamotten Reaktionen beim anderen Geschlecht hervorgerufen. Heute ist es der Körper.“ Der Druck, gut auszusehen, ist groß. „Die einen wollen ihrer Angebeteten gefallen, andere haben Kumpels, die das machen oder Speck, der weg soll, damit man in der Badehose top aussieht“, zählt Michael Sauer auf, warum vielen die Body-Optimierung so wichtig ist.

Portrait von Michael Sauer
Viele Jungs wollen auf schnellstem Weg zum Traum, weiß Sportwissenschaftler Michael Sauer. Dabei informieren sich längst nicht alle über Risiken von Aufbaupräparaten oder den richtigen Umgang mit den Geräten.

Schönsein – für wen?

„Klar, die Optik ist ein cooler Nebeneffekt. Und es verschafft einem einen Vorteil bei den Mädchen, aber das ist nicht alles – der Charakter muss auch passen“, meint Fritz, 17. Ähnlich sieht die Antwort der meisten anderen aus: was zählt sei man selbst, die Meinung anderer: Nebensache. Etwas verzwickter erklärt Denis, 17, die Lage: „Eigentlich bin ich jemand, der morgens aufsteht, einmal mit der Hand durch die Haare fährt – und fertig. Aber Mädchen wollen gerne einen Freund haben, der trainiert ist, glaube ich. Auf Muskelprotze stehen sie aber nicht.“ Er hat sich erst vor kurzem im Fitness-Studio angemeldet. „Noch fühle ich mich wie ein Lauch, wenn ich an der Bank drücke und die Gewichte nicht hochkriege."

Ich ernähre mich vegan, achte auf meine Gesundheit und meinen Körper.

Tristan, 17 Jahre
Trainieren alle also einfach nur für sich? Sauer ist da skeptisch: „Sieht man sich Magazine wie ‚Men’s Health’ an, gibt es in jeder Ausgabe wieder den Sixpack als Thema.“ Dazu durchtrainierte Typen überall; in der Werbung oder auf der Leinwand lassen Hollywood-Stars wie Charlie Hunnam ihre Muskeln spielen. Immer das gleiche Schönheitsideal. „Viele glauben, dass es schöne Menschen im Leben einfacher haben, von anderen leichter akzeptiert, coolere Freunde und bessere Chancen im Job haben“, sagt Sauer, da Schönheit oft mit Erfolg und Anerkennung verbunden wird. Ausgeblendet wird dabei, wie unterschiedlich „Schönheit“ wahrgenommen wird. Und wie unterschiedlich und doch schön man sein kann.
Tristan trainiert im Fittnessstudio
Tristan trainiert fast jeden Tag unterschiedliche Muskelgruppen. Wenn es nach seiner Freundin geht, müssen es aber nicht unbedingt noch mehr Muskeln sein.
Teenie mit Käppi steht draußen und blickt in die Kamera.
Auch mal 'ne Pause machen, weiß Max, ist gut für den Körper.

Mir geht es um Fitness, nicht um Muskelaufbau. Aufgepumpte Muskeln sehen oft unproportioniert und albern aus.

Max, 19 Jahre
Max gönnt sich gerade eine Pause an der Rudermaschine und lässt den Blick durch den Geräte-Dschungel schweifen. Von muskulösen Superkörpern hält er nichts, vor allem, seit er eine Ausbildung zum Physiotherapeuten macht. „Meine Körperwahrnehmung hat sich dadurch komplett verändert“, sagt der 19-Jährige. „Viele Jungs haben eine verkehrte Wahrnehmung, sind nicht zufrieden, wollen immer mehr an sich verbessern und machen weiter, obwohl sie schon viel zu viel Muskelmasse aufgebaut haben.“

Mit riesigen Nebenwirkungen? Pillen & Co

Dicke Oberarme und Stiernacken sind zwar nicht mehr so angesagt, der nächste Mucki-Trend ist aber schon da: Androgynität. „Definierte Muskulatur, möglichst wenig Fett, was sonst nur bei Mädchen Thema war“, so Sportwissenschaftler Michael Sauer. Dafür treiben einige exzessiv Sport, achten auf ihre Ernährung, zählen Kalorien oder helfen mit Nahrungsergänzungsmitteln nach. „Viele nehmen diese, wenn sie mit dem Training beginnen, obwohl sie nichts darüber wissen, gar nicht oder nur schlecht aufgeklärt sind“, erklärt der Experte. Dosiert man Nahrungsergänzungsmittel falsch, sind Pillen & Co. sogar schädlich. Das Problem bei allen Zusätzen: Jungs sind oft ungeduldig und wollen, dass ihr Körper (zu) schnell ein Maximum erreicht. Wer sogar mit Hormonen nachhilft, hat heftige Nebenwirkungen wie Akne. Die Kopfhaare fallen einem aus, die Gesichtshaare sprießen auch an Stellen, wo man sie nicht will. Und das sind nur einige der unschönen Nebeneffekte. Doping? Ist nichts für Tristan. „Das ist kontraproduktiv“, sagt er: „Mir machen die Übungen Spaß!“

Geil aussehen für andere? So einer bin ich nicht!

Paul, 19 Jahre
Draußen vor dem Fitnessstudio treffen wir Paul, 19. Sportlich, aber kein Überflieger, so beschreibt er sich selbst. „Von Natur aus bin ich keine Kante. Daran kann ich mit Sport nur bis zu einer gewissen Grenze etwas ändern“, sagt Paul und zuckt mit den Achseln. Er hat das „Bootcamp“ für sich entdeckt, trainiert zweimal die Woche mit anderen bei Wind und Wetter. „Wenn ich Stress habe, kann ich dabei abschalten. Außerdem komme ich gerne an mein Limit.“ Dabei geht es ihm nicht nur um die sportliche Leistung oder darum, cool zu sein. Yoga hat er auch ausprobiert. Was andere davon halten, ist Paul egal. "Geil aussehen für andere? So einer bin ich nicht! Wenn man sich gut fühlt und selbst gut findet, ist das perfekt!"
Jugendlicher steht mit Mantel und Mütze vor Hecken
Paul macht, worauf er Lust hat: Gerade ist es das Outdoor-Training beim Bootcamp. Immer draußen, egal wie das Wetter ist.

Text und Fotos (Tristan, Max): Anja Schimanke

Anja Schimanke ist freie Journalistin in Köln. Fitnessstudios kannte sie bislang nur von außen. Für die Story wagte sie sich rein und weiß jetzt endlich: Auch wenn es dort gar nicht nach Pumakäfig riecht, muss man gar nicht unbedingt jeden Tag dort verbringen.