Das wir gewinnt

Der Rechts-Aussteiger: „Hey! Ich bin das nicht mehr“

Material zur Arbeit mit Jugendlichen zum Thema "Anderssein"

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Auf einmal alles anders? Hass gegen Toleranz tauschen? Früher war Felix Benneckenstein ein Neonazi. Heute, vier Jahre nach seinem Ausstieg, gilt er in der Neonazi-Szene als "Verräter". In Bayern hat er einen eigenen Verein gegründet, der anderen beim Absprung helfen will.
Bei Felix fängt es mit Musik an. 15 Jahre ist er alt, als er in einem Jugendzentrum in seiner Heimat Dorfen in Bayern die ersten rechten Lieder hört und sich immer mehr in der Gedankenwelt der Nazis verliert. Freiheit und Gleichheit für alle Menschen? Das ist damals nicht seine Wertvorstellung: In seinen Augen waren Menschen wie er besser als andere. Besser als Andersgläubige, Homosexuelle, Ausländer, Obdachlose. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennt die Wissenschaft das, wenn Leute ihre Ansichten damit begründen, dass andere weniger wert sind. Dass Felix selbst einen geistig behinderten Bruder hat, lässt ihn zunächst zwar an der menschenverachtenden Ideologie der Nazis zweifeln. Später blendet er das aus. "Bereitwillig habe ich alle Feindbilder der Neonazis angenommen. Nach und nach“, sagt Felix heute.
Eine Person, nur in Umrissen zu erkennen, vor einer grünen Wand mit weißem Strichmännchen und Pfeil rennt in Richtung einer Tür.

Vorurteile ohne Ende

Felix ist jetzt 28 Jahre alt und ein sogenannter Aussteiger. Nach zehn Jahren als aktiver Neonazi machte er vor vier Jahren Schluss mit seiner rechtsextremen "Karriere“. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits einige Monate im Gefängnis verbracht, war deutschlandweit als rechter Liedermacher bekannt. Und hatte Vorurteile ohne Ende: "'Der Jude' ist gierig. 'Der Schwarze' ist faul.“ In der abgeschotteten Nazi-Welt gehörte es dazu, immer neue Vorurteile anzunehmen. Das machten um ihn herum ja alle. 

Portraetfoto von Felix, junger Mann mit braunen kurzen Haaren und dunkler Brille.

Sich mit den vergangenen Taten auseinanderzusetzen, ist ein unumgehbarer Schritt.

Umdenken: In der Haft fasst Felix den Entschluss, sich komplett aus der Szene zu lösen.
Foto: Jonas Nolden
Irgendwann aber beschleichen Felix doch Zweifel an den ausgrenzenden Welterklärungen der Nazis. Er bemerkt, dass deren Theorien oft widersprüchlich sind und ihm gefällt immer weniger, wie menschenverachtend er selbst handelt. Also löst Felix sich von der rechtsextremen Szene und wendet sich an die Initiative Exit-Deutschland, mit deren Hilfe er den Ausstieg schafft. Er stellt sich mit seiner Geschichte in die Öffentlichkeit, setzt sich seitdem selbst gegen Rechtsextremismus ein und gründet eine eigene Aussteigerhilfe in Bayern. Heute ist er viel kritischer: "Vorurteile sind auf sehr vielen Ebenen gefährlich. Mit Vorurteilen wird – wie das Wort schon sagt – geurteilt. Oft werden die Menschen, die man verurteilt, automatisch ausgegrenzt. Vorurteile im Kleinen können das friedliche Zusammenleben im Großen bedrohen“, erklärt er. 

Einmal Nazi - immer Nazi?

Klingt nach einem ziemlich radikalen Wandel. Aber geht das überhaupt: Seinen jahrelang gehegten Hass mal eben so über Bord werfen? "Für uns steht außer Frage, dass der Mensch sich entwickeln kann“, sagt Fabian Wichmann von Exit-Deutschland. Der 34-Jährige begleitet Menschen wie Felix, die die rechtsextreme Szene verlassen wollen – und sich aus eigener Initiative an ihn und seine Kollegen wenden.

Portraetfoto von Fabian Wichmann, blonder Mann.

Ein Mensch kann sich immer ändern, wenn er anfängt, seine Einstellungen kritisch zu hinterfragen.

Fabian Wichmann von Exit-Deutschland begleitet rechtsextreme Aussteiger.
Foto: privat

Seit der Gründung von Exit haben sie schon über 500 Aussteigern geholfen. "Diese rechtsextremen Einstellungen sind ja nicht genetisch bedingt. Sowas entsteht, um nur einige Faktoren zu nennen, durch persönliche Erfahrungen und Umstände, das soziale Umfeld“, erklärt Fabian Wichmann. "Ein Mensch kann sich immer ändern, wenn er anfängt, seine Einstellungen kritisch zu hinterfragen.“

Deshalb schauen sich die Begleiter von Exit diese Einstellungen und Verhaltensweisen an und arbeiten daran. Wo muss man gemeinsam ansetzen, damit der- oder diejenige sich weiterentwickeln kann? Das passiert zum Beispiel in unzähligen Gesprächen, in denen man etwa von Nazis erzählte Geschichten auseinandernimmt, lernt zu hinterfragen. Auch bei Umzug, Arbeitssuche und Behördengängen hilft die Organisation. Denn oft bedeutet der Ausstieg einen umfassenden Neuanfang. Ziemlich wichtig sei, so Fabian Wichmann, sich ein stabiles Umfeld aufzubauen, in dem man akzeptiert wird.

Kein leichter Schritt. Fabian Wichmann weist nämlich daraufhin, dass auch Aussteiger oft Vorurteilen ausgesetzt seien, wenn Menschen ihnen einen solchen Wandel gar nicht zutrauen. Nach dem Motto: "Einmal Nazi, immer Nazi“. Genauso klar ist für den Exit-Mitarbeiter allerdings auch, dass man die Täter nicht zu Opfern machen sollte: Aussteiger müssten sich der Kritik stellen und sich ihr Leben lang mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Zusätzlich müsse man sich dann ein dickes Fell zulegen und sollte nicht den Anspruch haben, dass man überall mit offenen Armen empfangen wird: "Man darf sich nicht die Illusion machen, dass einem alles vergeben wird“.

"Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist"

Felix kennt dieses Gefühl, plötzlich auf der anderen Seite zu stehen. Gerade zu Beginn des Ausstiegs war das schwer. Wenn jemand seinen Namen bei Google eingegeben hat, war dort nur von ihm als Neonazi zu lesen. Dabei war es ihm doch so wichtig, allen zu erklären, dass er sich geändert hatte: "Hey! Ich bin das nicht mehr!“

Felix mit Videokamera bei einer Demo in der Menschenmenge
Auf der anderen Seite: Heute dokumentiert Felix mit der Kamera Demos von Rechtsextremen. In der Neonazi-Szene gilt er als "Verräter".
Felix Benneckenstein steht vor einer riesigen Plakatwand mit der Aufschrift "Rechts gegen Rechts"
Felix bei einer Aktion von "Exit Deutschland": Hier wird der Naziaufmarsch kurzerhand zum Spendenlauf für Aussteiger umfunktioniert.

Heute ist das anders. Zwar sind die Geschichten aus seiner Vergangenheit bei Google nicht gelöscht, aber es sind neue dazugekommen: über sein Engagement gegen Rechts. Heute spricht er über seine Vergangenheit, um aufzuklären. "Sich mit den vergangenen Taten auseinanderzusetzen, ist ein unumgehbarer Schritt im Ausstiegsprozess“, erzählt er. Sein schlechtes Gewissen gilt heute vor allem denen, die sich für eine offenere Gesellschaft einsetzen und deshalb damals unter seinen Aktionen zu leiden hatten.

"Immer wieder komme ich in Situationen, in denen ich denke: Wow. Selbst jemandem wie mir wird hier mit Respekt begegnet. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist. Toleranz und Offenheit sind positive Werte unserer Gesellschaft, die leider nicht immer und nicht überall gelebt werden. Aber es lohnt sich, sie zu verteidigen.“

Exit Logo vor grünem Hintergrund: Rotes Strichmännchen mit Hakenkreuz-Optik, das aus einer Tür rennt, neben der groß EXIT steht.

Mehr Infos im Netz:

Die Initiative Exit-Deutschland  hilft Menschen, die von der Neonazi-Szene loskommen und sich ein neues Leben aufbauen wollen. Neben Einzelpersonen werden auch die Familien von Rechtextremisten beraten.

Video-Reihe Der Aussteiger Christian Ernst Weißgerber erzählt
Rassismus? Antisemitismus? Identitäre? Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt

Sich informieren und engagieren:
mut-gegen-rechte-gewalt.de


 

Text: Imke Emmerich