
Marktchancen barrierefreien Bauens
Markthemmnisse bremsen den Ausbau der Barrierefreiheit
Für die Baubranche ist das eine gute Nachricht – theoretisch. Ob barrierefreies Bauen aber tatsächlich bald boomen wird, darüber gehen die Meinungen noch auseinander. Claus Wedemeier, Leiter für Digitales und Demografie beim GdW, dem Gesamtverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen, ist skeptisch. „Man muss es deutlich sagen: Barrierefreiheit und bezahlbarer Wohnraum sind erst einmal Gegenpole, und der Kostenfaktor schreckt viele Bauherren ab“, sagt er. Vielerorts sei der Druck groß, günstige Wohnungen zu bauen, gerade in Großstädten. „Da spart man natürlich, etwa an einem Balkon – aber eben auch an barrierefreier Ausstattung“, so Wedemeier. Auch die KfW beklagt in ihrer Studie zu dem Thema Markthemmnisse, die den Ausbau bremsen. Es dauere oft lange, bis sich barrierereduzierende Maßnahmen für Vermieter*innen amortisierten, gleichzeitig seien Mieter*innen selten bereit, wegen solcher Maßnahmen höhere Mieten zu zahlen.
Argumente, die Sylvia Pille-Steppat, Architektin beim Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg nur bedingt stichhaltig findet. „Mit dem Kostenargument kann man sich ziemlich einfach um Barrierefreiheit drücken. Das ist schade, denn wenn man Barrierefreiheit bei einem Neubau von Anfang an mit einplant, lässt sich fast immer eine kostengünstige oder sogar kostenneutrale Lösung finden“, sagt Pille-Steppat. Mit guter Planung könne man auch hohen Umbaukosten in der Zukunft vorbeugen: „Wenn die Wand heute schon so angelegt wird, dass sie in 20, 30 Jahren einen Haltegriff trägt oder die Kabelkanäle für den elektrischen Türöffner jetzt schon gelegt werden, spart das später viel Aufwand und Kosten“, so die Expertin für Barrierefreiheit.
Neubau ist der wichtigste Hebel für Barrierefreiheit
Know-how für barrierefreies Bauen
Online-Kurs „Barrierefreies Bauen für Behindertenbeauftragte“
Der Online-Intensivkurs richtet sich an städtische und kommunale Behindertenbeauftragte, die keinen baufachlichen Hintergrund haben. Er besteht aus sechs Online-Seminaren à drei Stunden und findet jährlich Ende November bis Anfang Dezember statt. Vermittelt werden grundlegende Kenntnisse rund um das barrierefreie Bauen – von komplexen Bauvorschriften über Genehmigungsverfahren bis hin zu konkreten Hilfen für das Erstellen von Stellungnahmen und Beurteilungen.
Barrierefreiheit im Fertighaus
Hersteller*innen von Fertighäusern haben die Marktchancen von barrierefreien und barrierereduzierten Wohngebäuden schon länger für sich erkannt. Ein Beispiel ist das bayerische Unternehmen Hanse-Haus. Im Video erklären die Hanse-Haus-Architektin Annette Müller und ihr Kollege, Bauzeichner Markus Weidner, der selbst einen Rollstuhl nutzt, worauf es bei der Planung eines barrierefreien Wohnhauses ankommt.
Von gezielter Förderung profitieren Einzelne und die Gesellschaft
Weiterhelfen können Zuschüsse der öffentlichen Hand, zum Beispiel aus Bundesmitteln. Von dort gibt es etwa das Programm „Altersgerecht umbauen“. Darüber können sowohl Privatpersonen als auch Wohnungsunternehmen verbilligte Kredite für den Umbau zu einer barrierefreien Wohnung bekommen. Auch Bundesländer und Gemeinden haben oft eigene Fördertöpfe. Für den Staat kann sich die Förderung lohnen. Erhebungen kommen auf mögliche jährliche Einsparungen im dreistelligen Millionenbereich, wenn Menschen aufgrund barrierefreier Wohnungen länger in den eigenen vier Wänden bleiben und nicht in stationäre Pflege müssen. Davon profitieren die Pflegeversicherungen und der Staatshaushalt, der seine Zuschüsse für das Pflegesystem reduzieren kann.
Bleibt die Frage, welche Perspektiven barrierefreies Bauen für die Baubranche bietet. Die Macher*innen der „bfb barrierefrei Trendstudie 2019 – Potenziale und Marktchancen des barrierefreien, demografiefesten Bauens“ sind ihr nachgegangen: Sie haben rund 285 Akteur*innen, die sich mit der Planung, der Genehmigung, dem Errichten, Prüfen und Betreiben von Gebäuden beschäftigen sowie Vertreter*innen von Menschen mit Behinderung nach ihrer Einschätzung gefragt. Die Ergebnisse spiegeln einerseits die Hemmnisse, die den Ausbau von Barrierefreiheit derzeit noch bremsen. So sehen rund 72 Prozent der Befragten eine höhere Nachfrage nach Barrierefreiheit bei ihren Auftraggebern, nur rund 32 Prozent aber auch eine höhere Investitionsbereitschaft für entsprechende Maßnahmen.
Die Zukunftsaussichten für barrierefreies Bauen sind gut
Know-how für barrierefreies Bauen
Fachtagung barrierefrei bauen
Am 5. September 2023 findet die 8. Fachtagung "bfb barrierefrei bauen" statt. Interessierte können diese Hybrid-Veranstaltung sowohl vor Ort in Köln als auch im Live-Stream online verfolgen. Auf dem Programm stehen Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen über aktuelle Trends und Konzepte zum barrierefreien, demografiefesten Bauen. In einer begleitenden Fachschau präsentieren Hersteller Lösungen und Produkte für barrierefreies Bauen.Wie Profis die Perspektiven des barrierefreien Bauens sehen
Im Rahmen einer Online-Befragung hat bfb barrierefrei bauen, ein Geschäftsbereich der Mediengruppe Rudolf Müller, ermittelt, wie Akteur*innen im barrierefreien Bauen die Perspektiven und Herausforderungen in diesem Feld sehen. Insgesamt nahmen an der Befragung 284 Personen aus verschiedenen Bereichen teil.
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43,3 Prozent der Befragten waren „Planende“, zum Beispiel Architekt*innen und Ingenieur*innen.
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15,8 Prozent „Fachplanende Barrierefreiheit“ wie Fachplaner*innen und Sachverständige für barrierefreies Bauen sowie Wohnberater*innen.
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10,6 Prozent „Bauende“, zum Beispiel Handwerker*innen und Bauunternehmer*innen.
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4,2 Prozent „Betreibende“ – also Vetreter*innen aus der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, Betreibende und Facility Manager.
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3,5 Prozent „Genehmigende“ wie Vertreter*innen aus Bauämtern, Behörden und Überwachungsinstitutionen.
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12 Prozent „Interessenvertretende“, etwa Behindertenbeauftragte, Schwerbehindertenvertretende und Verbände.
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10 Prozent „Sonstige“ – zum Beispiel Herstellende, Vertretende von Aus- und Weiterbildungsinstituten sowie aus dem Handel und der Industrie.
Alle Ergebnisse sind in der „bfb barrierefrei Trendstudie 2019 – Potenziale und Marktchancen des barrierefreien, demografiefesten Bauens“ zusammengefasst. Die folgenden Grafiken zeigen einen Ausschnitt aus der Gesamtstudie.