„Inklusion wird bei der Planung von Spielplätzen zu wenig berücksichtigt“
Spielplätze sind ideale Orte, um Inklusion von Anfang an selbstverständlich zu erleben. Warum ist das so? Und welche Folgen hat es für Kinder mit und ohne Behinderung, wenn diese wichtigen öffentlichen Orte für Spiel und Bewegung mehrheitlich (noch) nicht barrierefrei sind? Dr. Volker Anneken hat die Untersuchungen für die Studie „Inklusion auf Spielplätzen in Deutschland“ im Auftrag der Aktion Mensch geleitet. Im Interview erläutert er die Bedeutung von inklusiven Spielplätzen für die Gesellschaft und was getan werden müsste für mehr Zugänglichkeit.
Was lernen Kinder auf einem Spielplatz?
Für Kinder stellt der Bewegungs- und Begegnungsraum eines Spielplatzes einen informellen Lernort dar. Dieser wird erkundet, ausprobiert, erlebt und genutzt. Kinder lernen durch dieses unmittelbare Tun viel über ihre motorischen Fähigkeiten, aber noch viel wichtiger ist – sie lernen sich selbst besser einzuschätzen. Denn wenn ich etwas ausprobiere und dann feststelle „hat ja geklappt“, dann traue ich mir beim nächsten Mal noch mehr zu. Oder ich schätze eine Aufgabe als zu schwer für mich ein, wenn ich festgestellt habe, dass etwas noch nicht geklappt hat. Das Kind speichert ab, was der eigene Körper kann und was vielleicht (noch) nicht. Und wenn ich etwas schaffe und mehr kann als vorher, gibt mir dies Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die so genannte Selbstwirksamkeit. Wir wissen alle, wie Erfolgserlebnisse Freude und Glücksgefühle auslösen und manchmal auch zu mehr Risikobereitschaft und Aufregung führen können. Diese positive Entwicklung der Selbstwirksamkeit kann aber nur dann auf einem Spielplatz angebahnt werden, wenn die dortigen Angebote die unterschiedlichsten Fähigkeitsniveaus der Kinder ansprechen.
Welche Bedeutung hat das gemeinsame Spielen auf einem Spielplatz für Kinder allgemein und vielleicht besonders für Kinder mit Behinderung?
Begegnungen können Veränderungen hin zu einer positiven Haltung gegenüber dem angeblich „Anderen“ bewirken. Das gemeinsame Spielen gerade im Kindesalter ist dafür nahezu perfekt, Vielfalt zu erfahren und sich unvoreingenommen mit Respekt auf Augenhöhe zu begegnen. Der Spielplatz ist dafür ein idealer Ort. Hier kann durch vielfältige Angebote für das individuelle und gemeinsame Spiel an Geräten und auf den Flächen Begegnung einfach so stattfinden - ohne formellen oder organisierten Rahmen. Im gemeinsamen Spiel, im Spaß auf der Nestschaukel oder auch im Streit um eine Schaufel werden Erfahrungs- und Entwicklungsimpulse gesetzt. Für Kinder mit Behinderung, deren Bewegungsradius, Orientierungsfähigkeit oder Kommunikationsmöglichkeiten vielfach beeinträchtigt sind, können diese Impulse umso mehr bewirken. Auch darf nicht unterschätzt werden, wie sehr Kinder sich von Kindern Dinge abschauen und nachmachen. Dies gilt für Kinder mit und ohne Behinderung gleichermaßen. Das vermeintlich „Andere“ wird so spannend und macht neugierig und zahlt auf die Akzeptanz von Vielfalt ein.Das gemeinsame Spielen gerade im Kindesalter ist dafür nahezu perfekt, Vielfalt zu erfahren und sich unvoreingenommen mit Respekt auf Augenhöhe zu begegnen.
Wie steht Deutschland im Hinblick auf inklusive Spielmöglichkeiten im internationalen Vergleich da?
Nicht so gut. Wenn auch viel im Fluss ist, hinken wir den vergleichbaren Ländern in Europa und der Welt noch sehr hinterher. Die Selbstverständlichkeit, im öffentlichen Raum Bewegungs- und Spielorte für alle städtebaulich von Beginn an mitzuplanen, hat noch Luft nach oben. Für mich ist immer ein Beispiel aus Lissabon unvergesslich: mitten auf einer touristischen Route in der Stadt, befindet sich an einer Stelle mit einem sehr schönen Blick auf den Hafen, eine große barrierefreie Spiel- und Bewegungsfläche für die Bevölkerung – aber natürlich auch für alle Kinder der Touristen, die sich freuen zu klettern und zu schaukeln, während die Eltern Fotos machten. Diese Selbstverständlichkeit würde uns guttun.
Meiner Wahrnehmung nach wird hierzulande das Thema Inklusion bei der Planung und Umsetzung von Spielplätzen noch deutlich zu wenig berücksichtigt. Aber durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz muss ja zumindest die öffentliche Hand mittlerweile das Thema bei jedem zu bauenden Spielplatz mitdenken. Und das Knowhow, wie ein inklusiver Spielplatz konzipiert werden sollte, ist in jedem Fall ausreichend bei den Fachplanern und auch den Herstellern der Spielgeräte und Spielplätze vorhanden. Am Ende ist es die Frage einer konsequent-inklusiven Konzeption und dem politischen Willen, Inklusion wirklich umsetzen zu wollen.
Welche zentralen Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den Ergebnissen der Studie?
Dass wir politisch nach wie vor zu wenig die Potentiale für Teilhabe, Inklusion und auch Gesundheit des öffentlichen und informellen Bewegungs- und Begegnungsraums erkennen und zu sehr auf die Kosten schauen. Wenn ich die bessere Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Spielplätzen ganzheitlich betrachte, schaffe ich neben tollen Bewegungs- und Begegnungsräumen für Kinder ganz nebenbei auch gesellschaftlichen Mehrwert durch mehr körperliche Aktivität und somit eine gesteigerte Gesundheit. Und ich fördere den Inklusionsprozess in der Gesellschaft ohne großen Aufwand, indem ich ganz einfach vielfältige und tolle Menschen jeglichen Alters und Herkunft zusammenbringe und dadurch eine inklusivere Haltung durch die Akzeptanz von Vielfalt erzeuge.
Studie zu Inklusion auf Spielplätzen
Die Studie der Aktion Mensch „Inklusion auf Spielplätzen in Deutschland“ ist in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS) der Deutschen Sporthochschule Köln entstanden.