Felix Deiß: Vormundschaft für einen jungen Geflüchteten
Ich bin 28 Jahre alt und arbeite als Change Manager im Backoffice einer Bank in Berlin. Neben meinem Job engagiere ich mich ehrenamtlich als Vormund für einen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten. Ich hatte den Wunsch, etwas Sinnvolles mit jungen Menschen zu machen.
Schon als Jugendlicher und junger Erwachsener habe ich ehrenamtlich mit Jugendlichen gearbeitet. Dann kam Ausbildung, Job, Umzug. Das Ehrenamt geriet in den Hintergrund.
Mit meinem Umzug nach Berlin wollte ich das ändern und mich neu engagieren. Nur war das mitten in der Corona-Zeit und es war gar nicht so leicht, etwas Passendes zu finden. Durch Zufall bin ich auf die Website des Landes Berlin gestoßen.
Rechtliche Verantwortung für einen Jugendlichen
Dort werden verschiedene Möglichkeiten des Ehrenamts vorgestellt. Ich habe mir alles durchgelesen und wusste: Ich möchte etwas mit Jugendlichen machen, aber bitte flexibel. Keine festen wöchentlichen Termine wie früher bei der Jugendbetreuung.
Dann bin ich auf einen Vormundschaftsverein gestoßen. Die schulen Ehrenamtliche und vermitteln anschließend Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Das hat mich sofort angesprochen. Man wird umfassend auf die Aufgabe vorbereitet mit Schulungen zu Themen wie Asyl- und Aufenthaltsrecht, Jugendhilfe, sexualisierte Gewalt und vielen weiteren Aspekten. Erst nach Abschluss dieser Schulungen wird man dem Familiengericht als geeigneter Vormund vorgeschlagen.
Als Vormund übernehme ich die rechtliche Verantwortung für einen Jugendlichen und treffe alle Entscheidungen, die normalerweise Eltern treffen würden. Ich unterschreibe Zeugnisse, begleite Schulwechsel, gehe zu Elternabenden und Lehrer*innengesprächen, kümmere mich um Krankenkasse, Bankgeschäfte, behördliche Anträge und vieles mehr.
Mein Mündel war gerade 14 Jahre alt, als ich ihn übernommen habe. Seine Eltern sind beide verstorben. Er wurde in Deutschland geboren, hatte aber zunächst keine deutsche Staatsbürgerschaft. Ein großer Meilenstein war seine Einbürgerung, die wir gemeinsam erreicht haben. Noch Wochen später hat er stolz seinen Personalausweis gezeigt.
Wir haben eine gute Beziehung aufgebaut. Es ist nicht selbstverständlich, dass das mit allen Jugendlichen gelingt, vor allem wenn sie schon älter sind. Aber wir unternehmen auch ab und zu etwas zusammen: Wir waren zum Beispiel klettern, im Museum oder auf dem Weihnachtsmarkt. Das gehört für mich dazu. Denn diese Jugendlichen verlieren oft ihr Umfeld: Es kommt immer wieder vor, dass sie die Wohngruppe oder die Schulform wechseln müssen. Da ist es wichtig, dass wenigstens eine Bezugsperson bleibt. Diese Kontinuität versuche ich zu geben.
Viele gesetzliche Betreuer beim Jugendamt müssen bis zu 30 Fälle gleichzeitig übernehmen. Da ist oft kaum persönlicher Kontakt möglich. Deshalb sind ehrenamtliche Vormundschaften so wichtig: Sie schaffen Bindung und Vertrauen.
Klar ist die Aufgabe auch herausfordernd. Man braucht ein gewisses Maß an grundlegendem Bürokratieverständnis und sollte gut mit Menschen umgehen können. Aber vieles lernt man unterwegs. Für mich war es genau die richtige Entscheidung. Und ich kann nur sagen: Es lohnt sich.
Auch wenn mit 18 Jahren die gesetzliche Vormundschaft endet, ist für uns klar: Die Beziehung geht weiter. Familiär würde ich es nicht nennen, aber wir sehen uns regelmäßig und er weiß, dass ich für ihn da bin.