Unsichtbare Behinderungen und Erkrankungen
Ich habe was, was Du nicht siehst
Wenn wir von Behinderung und Erkrankungen hören oder sprechen, denken viele Menschen wahrscheinlich an einen Rollstuhlnutzer, einen Menschen mit Downsyndrom oder einen Krebsbetroffenen mit Glatze.
Wir denken also an sichtbare Erkrankungen und Behinderungen, weil sie eben offensichtlich sind. Es gibt aber mindestens genauso viele unsichtbare Erkrankungen und Behinderungen. Eben diese, die vor dem öffentlichen Auge verborgen bleiben.
Betroffene leiden häufig weniger an ihren Einschränkungen als viel mehr darunter, dass sie sich von der Gesellschaft missverstanden und nicht gesehen fühlen.
Rechte für Betroffene
Ein Beispiel: Wenn wir an die Behinderten-Toilette oder den Behinderten-Parkplatz denken, dann haben wir sofort einen Rollstuhlnutzer vor Augen. Das hängt auch damit zusammen, dass auf den Piktogrammen ein Rollstuhlnutzer zu sehen ist. Es ist aber wichtig zu wissen, dass zum Beispiel auch ein Mensch mit einem künstlichen Darmausgang die Behinderten-Toilette benutzt. Ihm sieht man die Behinderung nicht gleich an, da der Stoma-Beutel wahrscheinlich gut unter dem T-Shirt verborgen ist. Wenn der oder die Betroffene dann sein Recht zur Toilettenbenutzung wahrnimmt, kann das zu Missmut bei anderen Menschen führen. Ähnlich ist es auch, wenn ein Mensch mit einer Atemwegserkrankung den Behinderten-Parkplatz benutzt, weil er keine weiten Wege mehr zu Fuß ins Gebäude schafft. Auch für diese Person ist der Behinderten-Parkplatz da. Wenn der blauen Parkausweis in der Windschutzscheibe des Autos liegt, dann wurde das Recht auf diesen Parkplatz von der Stadt bestätigt und gilt.
Parkausweise
Verständnis für unsichtbare Behinderungen zeigen
Wer Schmerzen, Depressionen, Traumata, Angstzustände, Migräne, Autoimmunerkrankungen oder Erkrankungen der inneren Organe hat (um nur einige zu nennen), dem sieht man oft nicht an, was dieser Mensch durchmacht. Sie haben völlig verschiedene Erkrankungen und Einschränkungen und doch teilen sie sich die Gemeinsamkeit, dass ihre Behinderung und Erkrankung nicht sichtbar sind. Oft erfahren diese Menschen weniger Verständnis als beispielsweise jemand, der sich das Bein gebrochen hat. Das liegt meist daran, dass ihre Erkrankungen oder Behinderungen nicht sichtbar und damit für viele Mitmenschen nicht greifbar sind.
Für Außenstehende wirken die betroffenen Menschen oft gesund, weil ihre Behinderung oder Erkrankung tiefer liegend ist. Ihre Behinderung ist damit nicht real für den oder die Betrachter*in. Menschen mit einer unsichtbaren Behinderung oder Erkrankung kämpfen häufig mit Vorurteilen. Sie werden zum Beispiel als Sozialschmarotzer oder Simulant*innen bezeichnet, die sich einfach mal zusammenreißen sollen, wenn sie nicht wie die Norm funktionieren. Das kann zum Beispiel passieren, wenn sich jemand mit einer unsichtbaren Behinderung oder Erkrankung häufig Krankheitstage nimmt oder sogar gar nicht arbeiten kann und auf Sozialhilfe angewiesen ist. Diese sozialen Belastungen und Anforderungen, können das Leben der Betroffenen sehr erschweren. Das wiederum verursacht Stress, der dann die Erkrankung im schlimmsten Fall sogar noch verschlimmern kann.
Auch wenn Betroffene versuchen mit der Norm mitzuhalten, damit sie in Ruhe gelassen werden, kann das ihre Erkrankungen befeuern. Wenn sie zum Beispiel versuchen, eine 40-Stunden-Woche ohne Fehltage zu absolvieren, kann ihnen das Kraft für den Alltag rauben und ihre Lebensqualität sehr stark einschränken.
Projektbeispiele zum Thema
Über psychische und seelische Erkrankungen sprechen
Ein weiteres Problem ist, dass seelische Erkrankungen nicht nur unsichtbar sind, sondern in der Gesellschaft immer noch stigmatisiert werden. Vielen Menschen fällt es immer noch leichter, dem Gegenüber von seiner Rheumaerkrankung als von Panikattacken zu erzählen. Es fehlt an Aufklärung.
Oft wünschen sich Betroffene, dass ihr Leid für alle sichtbar sein könnte. Dann müssten sie sich weniger rechtfertigen und es wäre für Außenstehende greifbarer, was sie durchmachen.
Unsichtbare Erkrankungen und Behinderungen sind sehr real für die Betroffenen. Um den Menschen zu unterstützen, ist es hilfreich, sich über die Erkrankungen und Behinderungen zu informieren. Außerdem sollte man den Betroffenen mit viel Empathie zuhören, aber auch Fragen stellen. Sie sollten Raum für Erklärungen dazu bekommen, wie es sich anfühlt, mit der Erkrankung und Behinderung zu leben.
Die Gesellschaft und jede*r einzelne sollte unvoreingenommen auf die Menschen zugehen, denn man weiß nie, was diese gerade nicht sichtbar durchmachen.
Vorurteilsfreie Blicke ohne Klischees
Einen Vorteil der unsichtbaren Erkrankungen gibt es: Betroffene werden nicht unmittelbar auf ihre Einschränkungen reduziert. Ihnen wird nicht von Beginn an Selbständigkeit, Expertise oder Selbstbestimmung abgesprochen. Die erste Begegnung und dein Kennenlernen können somit vorurteilsfreier sein. Außerdem kann die Person von ihrer Behinderung erzählen, sobald sie sich dafür bereit fühlt und nicht, sobald sie von außen darauf angesprochen wird.
Text: Franziska Seehausen