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Schwanger im Rollstuhl?

Als man Ina im Jahr 2013 sagte, dass sie schwanger ist, konnte sie es erst selbst nicht glauben. Glückwünsche, Freudentränen, erste Namensideen – vermutlich sind das die typischen Reaktionen bei der Feststellung einer Schwangerschaft. Doch anstatt Beglückwünschungen legte der Assistenzarzt ihr nahe, sich zu überlegen, ob sie das Kind wirklich behalten möchte.
Eine Frau im Rollstuhl und ein Mann unterhalten sich in einer Küche.

Im Rollstuhl und trotzdem Mutter?

Denn Ina sitzt, seit sie im Jahr 2007 von einem Auto angefahren wurde, im Rollstuhl. „Nach der Feststellung der Schwangerschaft folgte eine ausführliche Fragerunde über mein Leben: Ob ich in einer festen Beziehung bin, wie selbstständig ich bin, ob ich Autofahren kann und wie ich das generell alles so schaffe. Für mich war klar: Er traut mir nicht zu, dass ich mit einem Kind alleine zurechtkomme“, erinnert sie sich. Ina hingegen wusste sehr wohl, dass ihre Behinderung keine Rolle dabei spielt, dass sie eine gute Mutter ist.

Der Assistenzarzt war nicht der einzige, der ihre Schwangerschaft hinterfragte. „Viele konnten sich das überhaupt nicht vorstellen, dass ich als Frau im Rollstuhl ein Kind bekomme. Und auch heute ist oft die erste Frage, die ich gestellt bekomme, ob ich denn Hilfe hätte. Klar, es gibt schon Dinge, die bei mir im Alltag anders funktionieren. Leider bedeutet das für viele direkt, dass nichts funktioniert. Das finde ich sehr schade,“ so Ina.

Von kleinen und großen Barrieren im Alltag

„Das ist doof, dass du hier die Treppen nicht hochkannst, oder Mami?“ Inas Sohn Jayden ist mittlerweile fünf Jahre alt, geht zur Kita und erkennt schon jetzt, mit welchen Barrieren seine Mutter oft zu kämpfen hat. Ina stimmt zu: „Er kriegt halt mit, was geht und was nicht geht. In der Hinsicht wächst er auch bestimmt anders auf als andere Kinder. Und ich glaube, das ist total wertvoll.“ Denn dass ein gewisses Raster in den Köpfen vieler Menschen herrscht, wird ihr immer wieder bewusst. „Nach der Entbindung hatte ich zum Beispiel das Gefühl, dass die mich mit Jayden gar nicht nach Hause lassen wollten. Weil auf der Station nichts barrierefrei war, kam ich ohne fremde Hilfe auch nicht an meinen Sohn ran. Ich hatte also gar nicht die Chance, zu zeigen, dass ich mit ihm allein zurechtkam.“

Doch Ina hat sich von all dem nicht unterkriegen lassen. Denn instinktiv wusste sie: Sie wird Jayden eine gute Mutter sein. „Und ich habe auch alles mit ihm geschafft. Von Anfang an. Gegen alle Erwartungen.“ Sie grinst verschmitzt. Da ihr Mann Sascha aufgrund der Probezeit im neuen Job früh wieder arbeiten gehen musste, war Ina oft mit ihrem Sohn alleine. „Dabei ist mir schon oft die Decke auf den Kopf gefallen. Aber ich war so unfassbar stolz auf mich und auf meinen Sohn. Irgendwie wusste ich, das klappt schon, ich schaffe das. Ich weiß das.“

„Das geht echt gar nicht!“

Heute lebt die junge Familie in einem eigens geplanten und barrierefreien Neubau im Tecklenburger Land. Stolz schwingt in Inas Stimme mit, wenn sie über ihr neues Zuhause spricht. Denn was in unserer Gesellschaft ganz klar fehle, ist Barrierefreiheit – sei es in den Köpfen, oder im öffentlichen Leben. „Wenn man eine barrierefreie Ferienwohnung bucht, sieht die aus wie ein Krankenhauszimmer aus den Siebzigern. Das geht echt gar nicht,“ lacht sie. „Und so wenige Veranstaltungen sind wirklich barrierefrei. Ich wünschte, man würde von Anfang an Menschen mit Behinderung bei der Planung einbeziehen.“ Im Moment setzt sich die 30-Jährige selbst dafür ein, dass ein neuer Spielplatz in der Umgebung barrierefrei gestaltet wird. „Ich hake da so oft es geht nach und versuche, Tipps zu geben, denn: Ein Boden aus Sand ist auch für eine Mutter mit Kinderwagen oder für eine Oma mit Rollator ein absolutes No-Go!“

Was sie anderen Müttern mit Behinderung rät? „Bleibt dabei und macht euer Ding. Macht intuitiv das, was ihr für richtig haltet. Denn bedingungslose Liebe ist das wichtigste für eure Kinder. Für eure Kinder ist es nicht wichtig, ob ihr steht oder sitzt. Lasst euch nicht verunsichern. Von Außenstehenden würde ich mir wünschen, nicht immer alles direkt zu bewerten. Stattdessen könntet ihr doch einfach mal akzeptieren, dass die Dinge so sind, wie sie eben sind. Und dass Jayden, Sascha und ich sehr glücklich sind.“

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