Wir können es uns schlicht nicht leisten, Menschen auszuschließen.“

Annette Hambach-Spiegler sitzt am Schreibtisch, sie bespricht mit zwei anderen Frauen eine Broschüre, beziehungsweise sie sehen sich die Broschüre an
Annette Hambach-Spiegler (Mitte) ist Leiterin der Bürgerdienste in der Verbandsgemeinde Nieder-Olm. 

Annette Hambach-Spiegler, Leiterin der Abteilung Bürgerdienste bei der Verbandsgemeinde Nieder-Olm und Vertreterin der Verbandsgemeinde bei Kommune Inklusiv, spricht im Juli 2022 über die erfolgreiche Zusammenarbeit im Netzwerk und über ihre Erwartungen an die Strategie Inklusion.

 


Frau Hambach-Spiegler, Sie haben als Vertreterin der Verbandsgemeinde Nieder-Olm die Strategie Inklusion für die Verbandsgemeinde mit ausgearbeitet. Was war das Besondere daran, dass Sie die Strategie im Kommune Inklusiv-Netzwerk gemeinsam erarbeitet haben?

Der absolute Mehrwert liegt darin, dass verschiedene Personengruppen und verschiedene Einrichtungen stets präsent waren - mit ihrer Expertise und ihren unterschiedlichen Sichtweisen. Sie haben Menschen aus unterschiedlichen Zielgruppen vertreten. Diese Vielfalt war sehr wichtig. Ich habe dabei die Verwaltung der Verbandsgemeinde vertreten. Und ich vertrete außerdem die Interessen der sieben selbstständigen Gemeinden und der Stadt Nieder-Olm, die zusammen die Verbandsgemeinde bilden. Dabei konnte ich Fragen beantworten wie: Was braucht Verwaltung, worauf müssen wir achten? Wie sind die Abläufe zwischen Politik und Verwaltung?

 

Was war die Herausforderung bei so vielen verschiedenen Akteur*innen? Haben Sie viel diskutiert?

Wir haben eigentlich nie um irgendwas gerungen. Doch wir haben uns, glaube ich, manchmal selbst etwas überfordert. Beim Erarbeiten einer solchen Strategie werden viele Ideen und Gedanken diskutiert - es kamen uns Gedanken über Gedanken. Die Kunst war, all diese Gedanken und Ideen im Anschluss in eine Struktur, eine Form zu bringen. Für mich persönlich war das in dem Prozess wirklich eine Herausforderung. Die nächste große Herausforderung: Was wir zu Papier gebracht haben, muss jetzt belebt werden.

 

Der erste wichtige Schritt zur Umsetzung der Strategie Inklusion war, dass der Rat der Verbandsgemeinde Nieder-Olm sie einstimmig angenommen hat. Wie geht es jetzt weiter?

Die große Euphorie, auch in den politischen Gremien, hat uns dann doch ein bisschen Respekt eingeflößt. Jetzt ist da zu Recht eine Erwartungshaltung – und wir haben uns gefragt: Wie kriegen wir all die Punkte aus der Strategie umgesetzt? Wir haben, moderiert und angeleitet durch Aktion Mensch und die Prozessbegleitung, einen Boxenstopp gemacht. Da haben wir uns noch einmal sortiert anhand der Strategie: Wer hat welche Aufgaben, wer muss was tun und wann muss was getan werden? Wir haben dabei sehr klare Ergebnisse erzielt und eine Zeitschiene festgelegt. Zunächst werden wir noch vor der Sommerpause eine kleine und feine Arbeitsgruppe innerhalb der Verwaltung bilden, mit Kolleginnen und Kollegen aus allen Abteilungen. Die Verwaltung hier weiß, welchen Stellenwert Inklusion hat, und das wird auch von der Behördenleitung, vom Bürgermeister getragen. Aber wir brauchen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in die Abteilungen hinein. Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen aus jeder Abteilung, die den Überblick über die Abläufe haben. Die immer mit schauen: Was braucht es jetzt, damit die Vorgaben aus der Strategie Inklusion erfüllt werden? Denken wir beispielsweise an den Inklusions-Vorbehalt, also das Prüfen, ob sich eine geplante Entscheidung auf Inklusion auswirkt. Falls in der Hinsicht bei einer Entscheidung etwas zu beachten ist, sollte mindestens ein Kollege, eine Kollegin aus der Abteilung sagen können: So gehen wir weiter vor.

Vier Personen sitzen an einem Tisch und hören einer Referentin zu, die am Flipp-Chart etwas erklärt

Und was ist mit den Kommunalpolitiker*innen? Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch die Politik weiter an Bord holen müssen?

Wir haben ja dieses etwas komplexere Konstrukt – mit der Verbandsgemeinde, der Stadt Nieder-Olm und den sieben Gemeinden. Auf Ebene der Verbandsgemeinde haben wir eine gute Wirkung erzielt mit der Präsentation der Strategie Inklusion. Die acht weiteren selbstständigen Kommunen jetzt mit auf die Reise zu nehmen, das ist die nächste große Herausforderung. Das wird ein Prozess auf Jahre sein. Doch wir haben auf Ebene der Verbandsgemeinde Personen, die auch in den Gemeinden politisch aktiv sind. Die haben bereits geschaut, welche Auswirkungen die Verabschiedung der Strategie auf ihre Gemeinden haben könnte. Und überlegt, was sie da jetzt tun können und müssen.


Die Initiative Kommune Inklusiv wird in der Modellkommune Verbandsgemeinde Nieder-Olm nun also in Form der Inklusionsstrategie fortgeführt. Was hat zu diesem Erfolg beigetragen?

Zum einen dieser sehr fest zusammenarbeitende Kreis der Kooperationspartnerinnen und -partner. Wir haben eine sehr hohe Verbindlichkeit. Es gibt kein Konkurrenzdenken untereinander. Außerdem ist Kommune Inklusiv politisch immer mindestens mitgetragen worden. Und die Behördenleitung hat Kommune Inklusiv unterstützt. Das ist natürlich wesentlich. Ein weiterer Erfolgsfaktor war, glaube ich, dieser besondere Charakter unseres Strategie-Teams, das Engagement und die Überzeugung. Es ist der Gruppe einfach gelungen, der Lokalpolitik bei der Präsentation der Strategie dieses Gefühl zu übermitteln. Wir haben die Strategie zunächst in einem Fachausschuss präsentiert. Davon war unser Bürgermeister so angetan, dass er gesagt hat, wir sollten die Strategie auch im Rat präsentieren. Was nicht unbedingt üblich ist. Ich glaube, diese persönliche Präsentation im Rat hat wesentlich zum Erfolg beigetragen. Wenn die Politikerinnen und Politiker über eine schriftliche Vorlage diskutiert und entschieden hätten, wäre der Spirit nicht rübergekommen. So haben sie offenbar gespürt, wie wichtig die Sache den Akteuren war.


Was erhoffen Sie sich von der Inklusionsstrategie für die Verbandsgemeinde Nieder-Olm?

Wenn ich das mal ganz nüchtern betrachte: Es ist ein Attraktivitäts-Faktor für eine Gemeinde, lebenswerte Bedingungen zu haben und vielfältig zu sein. Mit der Haltung aufzutreten: Hier ist jeder und jede willkommen, wir stellen uns auf alle Menschen mit ihren Eigenarten ein. Ich glaube, dass wir es gerade im Moment ganz dringend nötig haben, einander wertschätzend, offen und tolerant zu begegnen. Für mich steht die Inklusionsstrategie für ein gutes Verständnis von Demokratie. Sie beschreibt, wie wir gut und respektvoll miteinander leben wollen. Außerdem – das ist jetzt wieder sehr sachlich – können wir es uns schlicht nicht leisten, Menschen auszuschließen. Ich spreche vom Fachkräftemangel. Die Personaldecke wird immer dünner. Wir können es uns nicht mehr erlauben, Menschen wegen möglicher Einschränkungen, die vielleicht nur wir als Außenstehende als Einschränkung sehen, vom Arbeitsmarkt auszuschließen.


Was war für Sie persönlich das Schönste bei der gemeinsamen Arbeit an der Inklusionsstrategie?

Dieses intensive Gefühl, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die die gleichen Werte und die gleiche offene, tolerante Haltung haben. Die davon überzeugt sind, dass wir wirklich was bewirken können. Auch wenn es erst einmal kleine Schritte sind. Das wird mir immer in Erinnerung bleiben, und das verbindet uns auch stark. Wir sind schon seit Jahren ein stabiles Netzwerk. Doch durch die Arbeit an der Inklusionsstrategie habe ich die Netzwerkpartnerinnen und -partner noch einmal besser kennengelernt. Diese Zusammenarbeit war ein Höhepunkt in meinem langjährigen Berufsleben – als Beamtin und Verwaltungsmitarbeiterin, die sich oft mit eher nüchternen Dingen beschäftigt. Dafür bin ich dankbar.