"In vielen Belangen sind wir erste Ansprechpartner*innen"

Im Auftrag der Aktion Mensch unterstützten Thomas Kruse vom Beratungsunternehmen Matrix und Zsuzsanna Majzik die fünf Modellkommunen. Ein Fazit aus der Zusammenarbeit: Die besten Ergebnisse entstehen, wenn die Prozessbegleitung und die Akteur*innen vor Ort eine Herausforderung gemeinsam lösen.

Warum ist Ihrer Erfahrung nach eine Prozessbegleitung wichtig für Inklusionsprojekte?

Zsuzsanna Majzik: Ich war selbst elf Jahre lang in der Praxis tätig, habe unter anderem in der Stadt Erlangen soziale Projekte im Gesundheitsbereich geleitet. Dabei habe ich mitbekommen, welche Fehler immer wieder gemacht werden. Das fängt bei der Antragstellung an. Ein Projekt kann nicht nachhaltig erfolgreich sein, wenn Ziele, Zielgruppen und Maßnahmen so hingebogen werden, dass sie zu den Förderkriterien passen. Es führt auch nicht zu dauerhaften Veränderungen in der Gesellschaft, wenn in einem Projekt nur eine Maßnahme nach der nächsten umgesetzt wird, ohne dass sich Strukturen ändern. Hier können wir als Prozessbegleiter*innen den wichtigen Blick von außen liefern, Denkanstöße geben, den Finger auch mal in die Wunde legen.

Wie unterstützen Sie Projekte dabei, nachhaltig erfolgreich zu sein?

Zsuzsanna Majzik: Wir fördern neue Prozesse und Strukturänderungen: Nach und nach findet ein Umdenken im Projektmanagement statt. Es werden kooperative Erfolgsmethoden ausprobiert. Dabei begleiten und unterstützen wir die Kommunen. Soziale Träger, Vereine, Organisationen und Kommunalverwaltungen lernen, nicht mehr nur in Förderprogrammen zu denken. Sie nehmen das Heft selbst in die Hand und schauen, gemeinsam mit den Bürger*innen, was die Menschen vor Ort wirklich brauchen. Kennen sie die Bedarfe, haben sie Antworten: Sie wissen dann, wie sie das Projekt aufstellen müssen, um diese Probleme zu lösen. Und genau dafür suchen sie Geldgeber*innen. Diese partizipativen Methoden sind wichtig, damit sich eine Gesellschaft wirklich verändern kann. Wir helfen dabei, dass die Projektpartner*innen in den Kommunen diese Methoden kennen und dass sie sie anwenden können.

Thomas Kruse: Am Anfang steht meistens der Wunsch der Akteurinnen und Akteure, mit der Zielgruppe noch viel besser in Kontakt zu kommen und so die eigene Arbeit zu verbessern. Dabei ist klar: Damit sich die Lebensbedingungen für die Zielgruppe dauerhaft verbessern und die Arbeit somit nachhaltig erfolgreich ist, braucht die Zielgruppe Freiräume für Mitbestimmung und Selbstverantwortung. Sobald die Akteur*innen vor Ort das anerkannt und gemeinsam beschlossen haben, startet unsere Zusammenarbeit. Wir zeigen auf, mit welchen Methoden sich dieser Prozess hin zu mehr Partizipation starten und umsetzen lässt, beispielsweise mit der Methode der kooperativen Planung. Wenn gewünscht, moderieren wir Treffen und Veranstaltungen im Rahmen des Prozesses. Der Prozess erfordert, dass wir mit den Akteur*innen im Gespräch bleiben, immer wieder darüber reden, wie weit sie sind. Es erfordert auch, alle Beteiligten zwischendurch mal zu motivieren, denn der Weg ist nicht immer ganz einfach. 

Eine Gruppe von etwa 20 Menschen hört dem Vortrag eines Mannes zu.

Wie sieht Ihr Alltag als Prozessbegleitung bei Kommune Inklusiv aus?

Zsuzsanna Majzik:  Wir reisen sehr viel in die Kommunen, dann sind die Tage auch mal 14 Stunden lang. Denn es ist wichtig, dass wir uns ein Bild von der Situation und von den Prozessen vor Ort machen. Wir müssen den Sozialraum kennen lernen, in dem das Projekt wirken soll. Wir brauchen ein gutes Gefühl dafür. Die Reisetage wechseln sich ab mit etwas kürzeren Tagen im Homeoffice. An Homeoffice-Tagen telefoniere ich meistens insgesamt sechs Stunden, schreibe Statusberichte, tausche mich aus mit meinem Kollegen, stimme mich sehr eng mit der Kommune Inklusiv-Projektleiterin bei der Aktion Mensch ab. Wir Prozessbegleiter reden entweder - und wenn wir nicht reden, dann schreiben wir. Für die Modellkommunen sind wir für bestimmte Themen und Belange erste Ansprechpartner*innen. Von Kommune zu Kommune unterscheiden sich diese aber. Die einen brauchen mehr Unterstützung und fordern uns strategisch. Die anderen arbeiten sehr autark - da haben wir eher eine Backup-Funktion.

Wie bekommen Sie denn dieses gute Gefühl für die Kommune, die Sie begleiten?

Thomas Kruse:  Wir gehen zum Beispiel vor Ort auf Veranstaltungen. Da bekommen wir gut mit, wie die Stimmung vor Ort ist. Unsere Hauptansprechpartner*innen sind die Netzwerkkoordinator*innen. Doch wir reden auch mit vielen anderen Akteurinnen und Akteuren, um ein noch genaueres Bild zu bekommen. Es ist wichtig, dass wir uns vor Ort mit möglichst vielen verschiedenen Menschen austauschen. Was wir auch machen: einfach einen „Google-Alarm“ zu Inklusionsthemen in den Kommunen einrichten. Uns also jeden Tag die aktuellen Nachrichten in einer Übersicht zuschicken lassen. So bekommen wir mit, was es an Inklusionsprojekten und -strukturen vor Ort gibt. Und können es vermeiden, parallel zu anderen Vereinen oder Institutionen an ganz ähnlichen Projekten zu arbeiten.

Was sind für Sie jeweils die größten Herausforderungen in dem Job?

Thomas Kruse:  Mit der Rolle als Prozessbegleiter geht eine große Verantwortung einher. Ich stehe vor Ort im Wort. Ich entwickle mit den Akteur*innen das Konzept, bleibe bei der Umsetzung dabei und trage Mitverantwortung dafür, dass das Konzept funktioniert. Wenn ich einen Rat oder eine Empfehlung gebe, tue ich das auch aus persönlicher Überzeugung. Wenn etwas schief geht, müssen es die ausbaden, die ich beraten habe. Das ist schon ein herausfordernder Gedanke. Aber: Die Arbeit hat mit Menschen zu tun - das ist das Allerwichtigste und das motiviert mich.

Zsuzsanna Majzik: Für mich ist es eine Herausforderung, den Mittelweg zu finden zwischen Anregungen und Unterstützung geben und nicht zu viel Verantwortung übernehmen. Da ich selbst elf Jahre lang ähnliche Projekte geleitet habe, muss ich darauf achten, mich selbst zurückzunehmen, wenn es nötig ist. Meine Ansprechpartner*innen entscheiden selbst, ob sie Ratschläge annehmen oder nicht, ob sie mich einbinden oder nicht. Wir Prozessbegleiter*innen wissen nicht immer alles besser, wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen. Die besten Ergebnisse entstehen, wenn wir gemeinsam mit den Menschen in den Modellkommunen an einer Erkenntnis arbeiten.

Weitere Informationen zur Netzwerarbeit:

Dem Netzwerk eine Struktur geben

Erfolgreich zusammenarbeiten

Qualifizierung: Inklusionsprofi werden