„Durch Zahlen können wir jetzt ganz anders mit Akteur*innen und Menschen ins Gespräch gehen.“

Britta Sporket, eine der Netzwerkkoordinatorinnen von Inklusion vor Ort Warendorf, erzählt im November 2025, wie das Netzwerk bei der Sozialraumanalyse vorgegangen ist und welche Erkenntnisse sie gewonnen haben.


Um Inklusion voranzubringen, ist es hilfreich den Sozialraum, sehr gut zu kennen. Wie sind Sie vorgegangen, um Warendorf und die Menschen vor Ort genauer kennenzulernen?

In Warendorf hatten wir kein Netzwerk, und die Sozialraumanalyse haben wir schon in unseren Projektantrag geschrieben. Mit der Projektbewilligung waren die Sozialraumanalyse und der Aufbau des Netzwerks also die ersten Arbeitsschritte.

Uns als Netzwerkkoordinatorinnen-Team, mit meiner Kollegin Katharina Fournier und mir, war klar, dass wir die Analyse nicht selbst erstellen können. Dazu fehlten uns das Wissen und die Zeit. Wir wollten möglichst keine Auftragsarbeit, sondern eine Kooperation mit Partner*innen, die längerfristig im Projekt dabei sein wollen. So sind wir auf die Katholische Hochschule (katho) und das dortige Institut für Teilhabeforschung in Münster zugegangen.  In den Projektantrag hatten wir Projektmittel zur Weiterleitung an die katho festgeschrieben. Die katho ist also Weiterleitungsnehmerin von Projektmitteln, die wir städtischerseits vom MAGS NRW erhalten.

Die katho hatte schon Erfahrungen mit Sozialraumanalysen aus anderen Kommunen. Dadurch war relativ klar, wie der quantitative Teil der Sozialraumanalyse aussehen wird, welche Zahlen wir also zusammentragen müssen.

Um welche Zahlen geht es?

Zum Beispiel, wie viele Menschen mit Schwerbehinderung in Warendorf leben. Welche Behinderungsarten sie haben. Wie viele ältere Menschen und Menschen mit nicht-deutschem Pass hier leben. Wie sich die Menschen in den verschiedenen Ortsteilen verteilen, die in Warendorf sehr weitläufig sind. All das wussten wir nicht.

Es war erstaunlich einfach, an Zahlen zu kommen. Wir hatten eigene Zahlen aus der Stadtverwaltung, wie Einwohnerzahlen, oder die Zahlen der Caritas aus Projekten. Weitere haben wir vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und dem Kreis Warendorf erhalten, wie beispielsweise die Schwerbehindertenstatistik.

Es ging also erst einmal nur um die Erhebung von Zahlen?

Nicht ganz. Bei den ersten Planungstreffen mit der katho hatten wir Akteur*innen dabei, die wir schon kannten, zum Beispiel Stadtverwaltung und Kreis-Caritasverband. Gemeinsam haben wir überlegt, welche gut vernetzten Einzelpersonen, Vereine, Initiativen und Wohlfahrtsverbände wir kennen. Das haben wir auf einer Mindmap festgehalten.

Etwa zu dieser Zeit gab es auch unser Gründungstreffen der Entwicklungsgruppe, zu dem wir auch aufgrund unserer Mindmap eingeladen haben. Die Entwicklungsgruppe steuert und begleitet unser Projekt. Deshalb sollte diese Gruppe möglichst vielfältig besetzt sein. Bei diesem Treffen wurde uns klar, dass wir auf die Straße und in die Ortsteile müssen. Denn es waren überwiegend Akteur*innen und Lebensweltexpert*innen aus dem Stadtzentrum dabei. Die ländlich geprägten Stadtteile Milte, Einen, Müssingen oder Hoetmar waren zu diesem Zeitpunkt unterrepräsentiert.

So ist also die Idee mit den Stadtteilspaziergängen als Teil der Sozialraumanalyse entstanden?

Richtig. Gemeinsam mit der katho haben wir die Begehung entwickelt und geplant. Wichtig war uns, dass wir nicht nur Menschen erreichen, die wir schon kennen. Wir wollten die Menschen dabei haben, die vor Ort leben, die wir noch nicht kennen und die sich bisher noch nicht engagiert hatten. Die katho hat die Begehungen dann federführend durchgeführt.

Zwei Männer unterhalten sich, einer sitzt auf einer kleinen Mauer, im Hintergrund sind Fachwerkhäuser.
Portraitbild von Britta Sporket
Britta Sporket

Zur Person

Die Diplom-Pädagogin mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung ist seit April 2023 als Netzwerkkoordinatorin bei der Stadt Warendorf für das Projekt „Inklusion vor Ort“ zuständig. Sie hat zuvor im Bereich der sozialen Altenarbeit und als Seniorenbeauftragte gearbeitet.

Sie haben auch danach gefragt, wie die Menschen sich vor Ort informieren. Wie erreicht man die Menschen denn besonders gut?

Beim Bäcker, über Aushänge bei der Sparkasse oder Volksbank. Einige haben als Mitglieder im Sport- oder Schützenverein von Whatsapp-Gruppe berichtet, aber eher selten. Aushänge haben eine große Relevanz – dieses Wissen nutzen wir heute und machen viel in Papierform.

Welche Methodik haben Sie für die Stadtteilbegehungen angewendet?

Wir haben die Photovoice-Methode über die App „Stadtsache“ und Tablets genutzt. Bei dieser Methode können die Teilnehmer*innen auf Fragen mit einem Foto, einer Audio-Aufnahme oder mit Text antworten. Das hat sehr gut funktioniert. Wir hatten Personen dabei, die sehr glücklich damit waren, als Antwort einfach Orte zu fotografieren. Die, die Sprache nutzen konnten, haben zu den Fotos per Audio-Aufnahme erzählt. Zum Beispiel: „Hier war mal ein Bäcker und das ist total schade, dass es den nicht mehr gibt, der fehlt jetzt. Da hat man sich morgens immer getroffen.“

Wir hatten auch eine Technikunterstützung dabei: Das haben Studierende und die Seniorenbeauftragte übernommen. Die Seniorenbeauftragte war im Kontakt zu den älteren Menschen sehr hilfreich, weil sie nicht so technikbegeistert waren. Die Technikunterstützung war ein echter Türöffner.

Ein Stadtteil ist so weitläufig, dass keine Begehung für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen möglich war. In diesem Stadtteil haben wir einen Workshop im Ortsteil gemacht und so mehr über die Menschen und den Stadtteil herausgefunden.

Was haben Sie mit den Ergebnissen der Begehungen gemacht?

Wir haben die Ergebnisse noch am Tag der Begehung vorgetragen. So konnten wir noch mal über unsere Projektschwerpunkte sprechen und einen Ausblick geben. Und wir konnten sagen, dass wir die nicht projektrelevante Informationen an die Verwaltung weitergeben.

Als die Sozialraumanalyse insgesamt fertig war, haben wir alle Begehungsteilnehmer*innen zu einer großen Präsentation der Ergebnisse im Stadtzentrum eingeladen. Und wir waren mit den Ergebnissen in den Bezirksausschüssen aller Ortsteile. Das war ein Wunsch der Politik. An diesen Terminen konnten auch die Menschen teilnehmen, die bei den Begehungen dabei waren.

Was haben Sie über Ihre Zielgruppen herausgefunden?

Dass in Warendorf viele Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung leben. Das war uns nicht bewusst. Für unser Projekt war diese Info sehr wichtig.

Wir wissen jetzt, wie viele Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit hier leben, wie viele Nationalitäten darunter sind, wie die Altersstruktur ist. Dabei ist auch herausgekommen, dass der Anteil älterer Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Warendorf in Zukunft signifikant steigen wird. Das war sehr interessant, denn das Münsterland ist keine migrantisch geprägte Region.

Eine weitere Erkenntnis: Trotz großem Aufwand haben wir vermutlich eher Menschen getroffen, die auch an anderer Stelle aktiv werden und für sich einstehen würden. Einsame und isolierte Menschen haben wir vermutlich nur wenige erreicht.

Haben Sie Tipps für andere Netzwerke, die so eine Sozialraumanalyse noch vor sich haben?

Was uns fehlt, sind mehr Querbezüge in der Analyse selbst. Was wir wissen: Ein großer Anteil der Menschen wohnt in Freckenhorst. Doch wo genau sie wohnen und ihre Freizeit verbringen, das wissen wir nicht. Und da würde ich mit dem Wissen von heute noch mal tiefer reingehen und nachforschen. Das ist zwar noch mal viel Arbeit, zum Beispiel, um bei Vereinen nachzufragen, doch das fehlt uns. Wir stehen jetzt an einem Punkt, wo wir diese Recherche nachholen müssen. Es wäre besser gewesen, wenn wir das schon am Anfang gemacht hätten.

Sie haben Ihre Sozialraumanalyse in einer Kooperation erstellt. Wie viel Zeit mit Planung und Umsetzung haben Sie dafür gebraucht?

Wir hatten Vorabtreffen mit der katho, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem Kreis Warendorf von insgesamt 20 Stunden. Die Ortsteilbegehungen selbst haben nochmal ungefähr 20 Stunden benötigt. Hinzu kommt da noch die Vor- und Nachbereitungszeit der Termine. Wir brauchten Zeit für die Einarbeitung in die App und für den Technikcheck. Wir mussten die Tablets besorgen und die katho musste die Sozialraumanalyse schreiben. Alles in allem würde ich schätzen, dass gut ein Monat Arbeit einer Vollzeitstelle in der Sozialraumanalyse steckt.

Sozialraumanalysen sind noch nicht alltäglich bei Projekten für Inklusion im Sozialraum. War es Ihre erste und würden Sie es wieder tun?

Ja, das war meine erste. Und ja, ich würde es auf jeden Fall wieder machen. Denn Zahlen sind sehr wichtig. Durch die Zahlen können wir jetzt ganz anders mit Akteur*innen und Menschen ins Gespräch gehen. Sie sind eine Legitimationsgrundlage und unterstreichen die Wertigkeit der Arbeit. Ich kann es allen Akteur*innen für Inklusion empfehlen.

Ein junger Mann im Rollstuhl interviewt eine Frau in einem Park. Eine Kamera mit Stativ und Mikrofon sind auf die Frau gerichtet.

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