„Empowerment beseitigt Barrieren“

Der Inklusions-Aktivist und Empowerment-Experte Ottmar Miles-Paul spricht im November 2025 darüber, warum alle Menschen persönlich gestärkt werden sollten, was Empowerment-Schulungen bewirken und wie Empowerment Menschen bewegen kann, sich gesellschaftlich und politisch zu engagieren.

Herr Miles-Paul, wer braucht Empowerment?

Alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, Frauen, Männer, Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Ganz viele von uns haben irgendwann im Leben das Gefühl: Ich kann eh nichts bewegen. Das ist ein bisschen in unserer deutschen Kultur drin. Ich hatte das Glück, die US-amerikanische Kultur in besseren Zeiten kennenzulernen: Ende der 80er Jahre war ich für 15 Monate in Berkeley. Ich war 24 und kam mit bescheidenem Selbstbewusstsein an. Aber dort hatten Menschen mit Behinderung ein ganz anderes Bild von sich. Da war Stärke, das Gefühl, etwas bewegen zu können, sich gegenseitig zu unterstützen. Das war ein ganz anderer Geist, als er damals in Deutschland herrschte. Das hat mich ermutigt, mich hier im Land für die Rechte von Menschen mit Behinderung einzusetzen.

Der Begriff Empowerment stammt aus den USA. Der US-amerikanische Psychologe Julian Rappaport sagte 1984: Empowerment ist ein Prozess, durch den Menschen Kontrolle über ihr eigenes Leben erhalten.

Ich bin froh, dass wir den Begriff nach Deutschland holen konnten. Empowerment ist für mich ein ganz großer Begriff. Es steckt das Wort ,Power’ darin. Empowerment sagt aus: Ich habe Kraft, ich schalte den Knopf ein, ich tue etwas und ich kann etwas bewegen. Das passt sehr gut in die heutige Zeit: Viele von uns erleben zurzeit eine große Ohnmacht. Und was gibt es Schlimmeres, als wenn sich Bürgerinnen und Bürger machtlos fühlen? Ich möchte ihnen sagen: Empowerment fängt im Kleinen an. Im Alltag kann ich viele Dinge bewegen und verändern. Ich kann Ungerechtigkeiten und Barrieren beseitigen, nicht nur für mich, sondern auch für andere. Ich kann mich beispielsweise gemeinsam mit Nachbar*innen dafür einsetzen, dass der Hinterhof schöner wird. Ich kann also auch zusammen mit anderen etwas erreichen. Das stärkt Selbstvertrauen und Gemeinschaftsgefühl. Von dieser Seite betrachtet ist Empowerment etwas ganz Niedrigschwelliges.

Auf der anderen Seite organisieren Sie Schulungen für Empowerment, Zielgruppe sind Menschen mit Behinderung. Mit Ihnen gemeinsam haben Sie auch das Konzept für die Schulungen entwickelt. Warum sind diese Schulungen wichtig?

Menschen mit Behinderung sollten gezielt empowert werden. Denn gerade sie machen oft die Erfahrung, dass ihnen vermittelt wird: ,Du kannst ohnehin nichts, das klappt nicht.’ Das habe ich selbst immer, immer wieder gehört. In den Schulungen zu politischem Empowerment gucken wir: ,Was können wir bewegen? Lasst uns mal schauen, wie das geht!’ Die Schulungen sind ein geschützter Raum, um sich auszuprobieren, kleine Erfolge zu erzielen. Sie sind ein Werkzeug von vielen für mehr Empowerment.

Ottmar Miles-Paul - ein Mann mit kurzen, grauen Haaren - steht vor dem Brandenburger Tor. Im Hintergrund sieht man unscharf weitere Menschen.
Ottmar Miles-Paul vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
Foto: Michael Gerr
Porträt von Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul

Zur Person

Ottmar Miles-Paul engagiert sich seit mehr als 35 Jahren für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Er hat den Verband Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) und den Online-Nachrichtendienst kobinet-nachrichten mit aufgebaut, für den er ehrenamtlich schreibt. Von 2008 bis 2013 war er Landesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung in Rheinland-Pfalz.

In welcher Form können die Teilnehmer*innen sich ausprobieren?

Die Schulungen sind für Menschen, die sagen, ich will was bewegen, ich will etwas verändern. Wir reden darüber, welche Diskriminierungen wir erleben. Und was wir jetzt tun können, damit wir mehr erreichen. Dafür arbeiten wir unter anderem mit Rollenspielen. Viele sagen: ,Rollenspiele, oh nee, ist gar nicht so mein Ding.’ Doch ich habe es oft erlebt: Wenn die Trainerinnen und Trainer selbst für Rollenspiele offen sind, haben wir es immer hinbekommen, dass die Leute mitmachen. Das ist ja ein Risiko. Sie begeben sich in eine herausfordernde Situation, selbst wenn die Situation gespielt ist. Beispielsweise: ,Ihr seid jetzt ins Ministerium eingeladen, hier ist der Minister. Jetzt erzählt mal - wie geht es euch und was wollt ihr dem Minister sagen? Was muss sich ändern?’ Danach reflektiert die Gruppe das Gespräch. In den Rollenspielen steckt viel Ernst, und die Teilnehmer*innen lernen daraus. Die Schulungen haben außerdem den Vorteil, dass Menschen zusammenkommen. Sie lernen von den Trainer*innen, die selbst eine Behinderung haben. Und sie lernen vor allem von den anderen Teilnehmer*innen - von ihren Tipps und Erfahrungen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ich habe erlebt, dass manche Menschen einen regelrechten Kick bekommen. In einer Schulung war eine Frau mit starker psychischer Beeinträchtigung, die hat gesagt: ,Ich habe gar keine Lust, ich kann eh nichts bewegen.’ Ein halbes Jahr nach dem Seminar hat sie mir erzählt, dass eine andere Frau in der Schulung dazu beigetragen hat, dass sie neuen Mut gefasst hat. Das war eine Frau mit starker Körperbehinderung, die bald ein Kind bekommen würde. Die damals so mutlose Teilnehmerin sagte mir: ,Ich habe gesehen: Die zieht das durch. Und ich habe mir gedacht: Wenn die das schafft, dann werde ich jetzt auch mal in die Pötte kommen.’ Das Zusammentreffen mit der anderen Frau hat sie persönlich empowert. Und sie war dann richtig gut, hat sich selbst politisch engagiert.

Ihr persönliches Empowerment hat dazu geführt, dass sie politisch etwas bewegen wollte.

Das ist das Ziel der Schulungen. Schwerpunkt ist die Frage: Wie lassen sich Menschen stärken, damit sie Veränderungen bewirken können? Und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Das verbindet sich ja oft: Wenn ich selbstbewusster auftreten kann, erreiche ich auch in der Politik eher was – wenigstens, dass man mir mal zuhört. Je stärker ich selber daran glaube und je öfter ich erfahre, dass ich Einfluss auf mein Leben habe, dass ich mir Ziele setzen kann, dass ich was verändern kann, umso eher kann ich das auch auf politischer Ebene.

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