Die inklusive Gesellschaft im 21. Jahrhundert: Plenum 28.02.2018

Der erste Tag startete mit drei hochkarätigen Inputs von Domonic Rollins, PhD, Cornelia Daheim sowie Prof. Dr. Evelyn Schulz zu den Voraussetzungen und Herausforderungen für die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft im 21. Jahrhundert.
Grafik zu Kommunen werden Inklusiv

Inclusion starts with our conversation: Using dialogue to foster more inlusion“ – „Am Anfang steht das Gespräch: Mehr Inklusion durch Dialog“

Domonic Rollins, PhD, in Großaufnahme auf der Bühne. Er reicht dem Publikum die Hand

Domonic Rollins, PhD, Harvard Graduate School of Education, Cambridge (USA)

Um eine Veränderung hin zu mehr Inklusion in der Gesellschaft erreichen zu können, ist besonders der Dialog wichtig, betonte Domonic Rollins in seinem Vortrag. Im Dialog können gegenseitige Anerkennung, interessiertes Nachfragen und die Wertschätzung des jeweils anderen ausgetauscht werden und zu einer veränderten Denkweise beitragen. In den USA gibt es noch sehr viel Exklusion: Afroamerikaner, Hispanics oder weiße Amerikaner wohnen in verschiedenen Stadtvierteln oder gehen auf unterschiedliche Schulen. Bis sich daran etwas ändert, wird noch viel Zeit vergehen, so Rollins. Dabei weiß jeder, wie es sich anfühlt, eingeschlossen zu sein. „Es ist ein gutes Gefühl!“, sagte Rollins. Deswegen ist es wichtig, dass sich alle Menschen darüber Gedanken machen, wie sich mehr Menschen eingeschlossen fühlen. Eingeschlossen zu sein, bedeutet etwa auf die Party eingeladen oder von jemandem zum Tanz aufgefordert zu werden. Allerdings kann es sich auch seltsam anfühlen, eingeschlossen zu sein.

Die Änderung der Struktur allein führt nicht automatisch zur Inklusion

Domonic Rollins zeigte ein Video, in dem ein Kino mit tätowierten Rockern und Motorradfahrern in Lederkutten fast voll besetzt ist. Einzig zwei Plätze sind frei. Die Szene ist gestellt. Verschiedene Pärchen betreten den Kinosaal und sehen die einzigen beiden freien Plätze inmitten der Rocker und Motorradfahrer. Viele Pärchen sind von der Kulisse abgeschreckt und verlassen das Kino wieder. Einige jedoch trauen sich, sie setzen sich auf die freien Plätze und warten bis der Film beginnt. Dann die Auflösung: Die Rocker feiern die mutigen Kinobesucher, die sich zu ihnen gesetzt haben, obwohl sie offensichtlich ganz anders aussehen als sie selbst. Damit wollte Rollins zeigen, dass nicht allein die Möglichkeit, an etwas teilnehmen zu können, wichtig ist. Auch der Mut, auf andere zugehen zu können, die anders sind als man selbst, ist wichtig für mehr Inklusion. Doch auch diejenigen, die in der Mehrzahl sind, in dem Beispiel die Rocker, müssen etwas tun, damit sich die dazugekommenen Pärchen zugehörig fühlen.

Echtes und interessiertes Nachfragen

„Sobald wir etwas an der Struktur geändert haben, müssen wir etwas damit tun“, so Rollins weiter. Die Änderung der Struktur allein führt nicht automatisch zur Inklusion. Im Englischen nennt Rollins es die drei A, die zu mehr Inklusion führen können: Acknowledge (Anerkennung), Ask (interessiertes Nachfragen) und Appreciate (Wertschätzung). Wichtig für Inklusion ist demnach, dass sich die unterschiedlichsten Menschen von allen anerkannt fühlen. Weiter ist ein echtes und interessiertes Nachfragen wichtig: „Fragen Sie aus reiner Höflichkeit, wie es jemanden geht, ohne überhaupt auf die Antwort zu warten, führt das nicht zu einer echten Anerkennung und Würdigung auf Augenhöhe“, so Rollins. Das dritte A kommt von Appreciate, dies bedeutet hier sein Gegenüber zu wertschätzen, so wie er oder sie ist.

Domonic Rollins, PhD, bei seinem Vortrag auf der Bühne. Ein Gebärdensprachdolmetscher übersetzt

Veränderungen machen erst einmal Angst

Auf Nachfrage aus dem Publikum berichtete Rollins, dass US-Schulen das gleiche Problem wie deutsche haben: Sie sind sehr exklusiv. Es gibt zwar ein erstes Umdenken in den Universitäten, doch die Menschen benötigen auch einen gewissen Druck, damit sich etwas ändert. „Viele Leute haben Angst“, berichtete Rollins, „wenn mein Kind neben einem Kind sitzt, das ganz anders ist als meins.“ Deswegen ist es wichtig, die Bildungsstrukturen zu verändern und für mehr Barrierefreiheit zu sorgen. Aber gleichzeitig müssen auch die Gefühle der Menschen beachtet und geöffnet werden. Überhaupt ist Inklusion in den USA weit über Behinderung hinaus ein Thema: Auch die verschiedenen Hautfarben, Religionen, das Alter oder das Geschlecht sind Teil der Diskussion. „Die Unterschiede sind Teil unserer Gesellschaft“, betonte Rollins. Wichtig ist, von allen Seiten aufeinander zuzugehen.

Input „Trends und Perspektiven für Inklusion in der Kommune“

Cornelia Daheim auf der Bühne. Auf einer großen Leinwand hinter ihr wird der Vortrag übertragen. Ein Gebärdensprachdolmetscher übersetzt

Cornelia Daheim, Gründerin und Inhaberin Future Impacts Consulting, Köln

Digitalisierung und Fortschritt der Technik machen vielen Menschen Angst, weil etwa Arbeitsplätze wegfallen oder die Technik so schnell voranschreitet, dass manche Menschen nicht verstehen, wie etwas funktioniert. „Doch die Digitalisierung bietet auch Chancen“, sagte Cornelia Daheim. So kann zum Beispiel das autonome Fahren viele Vorteile bringen: Einige Unternehmen und Städte experimentieren bereits damit, Busse, Taxis oder Autos ohne Fahrer, allein durch einen Computer gesteuert, fahren zu lassen. „Werden diese Fortbewegungsmittel von Anfang an barrierefrei gestaltet,“ brachte Cornelia Daheim ein, „können alle Menschen besser von einem Ort zu einem anderen gelangen.“ Auch die Arbeitswelt bietet neue Chancen: So können schon heute bestimmte Berufsgruppen für Unternehmen arbeiten, die weit entfernt liegen. Durch Vernetzung und moderne Telekommunikationsmittel ist es möglich, in Deutschland für ein Unternehmen in den USA, Brasilien oder China zu arbeiten, ohne seine Wohnung verlassen zu müssen. So haben auch Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten, für Unternehmen an weit entfernten Orten zu arbeiten.

Ein großer Saal gefüllt mit Teilnehmern der Fachtagung

Neue Apps und Roboter können den Menschen die Arbeit erleichtern

Computerprogramme und Roboter werden den Menschen die Arbeit immer weiter erleichtern. Vor allem sich stetig wiederholende Tätigkeiten, die schnell eintönig werden, sowie schwere oder gefährliche Arbeiten werden immer häufiger von Maschinen oder Computern übernommen. Dadurch werden die Arbeitsplätze der Menschen immer sicherer, und stupide Arbeiten sorgen für weniger Frustration. „Übersetzungsprogramme helfen Menschen, die sich nur schwer mündlich äußern können, oder Apps zur Orientierung helfen blinden Menschen“, berichtete Daheim. „Diese Unterstützungsprogramme helfen dabei, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Gleichzeitig entstehen völlig neue Formen von Arbeitsplätzen. In sogenannten Coworking-Spaces schließen sich Menschen zu einer Bürogemeinschaft zusammen. So arbeiten Menschen in einem Büro für unterschiedliche Unternehmen. Diese Bürogebäude entstehen gerade an vielen Orten neu. Werden sie barrierefrei gestaltet, können alle Menschen gemeinsam an diesem Ort arbeiten. Dadurch kann die Vielfalt unterstützt und gefestigt werden.

Ein Auszug aus dem Publikum. Einige Teilnehmer heben die Hand

Bürgerbeteiligung wird immer wichtiger

Doch es gibt auch Entwicklungen, die weniger mit der Digitalisierung zu tun haben: So wird beispielsweise die Bürgerbeteiligung immer wichtiger. Immer mehr Menschen wollen aktiv an Entscheidungen teilhaben oder auch selbst Veränderungen anstoßen. Besonders Menschen mit Behinderung, Migranten, ältere und jüngere Menschen sollten mehr von öffentlichen Institutionen an Entscheidungen beteiligt werden. Daran müssen die Verwaltungen arbeiten. Ein weiterer Trend ist das „Nudging“, es bedeutet anstupsen. Die Idee dahinter ist, durch gesellschaftlichen Druck oder durch besondere Maßnahmen ein gewünschtes Verhalten auszulösen – ohne Verbote oder Strafen. So gibt es zum Beispiel Zebrastreifen, die so aussehen, als ob sie über der Fahrbahn schweben würden. Dadurch fahren viele Autofahrer langsamer und lassen Fußgänger über den Zebrastreifen gehen. In Singapur kann jeder den Stromverbrauch der Nachbarn sehen. Dadurch steigt der soziale Druck, weniger Strom zu verbrauchen.

Die Gestaltung der Zukunft beginnt jetzt

All diese Entwicklungen entstehen in naher Zukunft. Wollen wir eine inklusive und vielfältige Gesellschaft, müssen diese Entwicklungen auch jetzt inklusiv gestaltet werden. „Dabei zeigen verschiedene Studien, dass mehr Vielfalt für mehr Zufriedenheit in der Bevölkerung sorgt, wenn alle beteiligt sind und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können“, berichtete Cornelia Daheim.

Input „Diversität durch Inklusion? Formationen urbaner Begegnungsräume am Beispiel von Tokio“

Prof. Dr. Evelyn Schulz in Großaufnahme am Pult auf der Bühne

Prof. Dr. Evelyn Schulz, Japan-Zentrum, LMU München

„Japan ist die älteste Gesellschaft der Erde“, begann Evelyn Schulz ihren Input. „Etwa ein Viertel der Bevölkerung ist 65 Jahre oder älter.“ Jüngere Menschen ziehen in die Städte, alteingesessene werden verdrängt. Gleichzeitig lösen sich alte Familienstrukturen auf, in der mehrere Generationen zusammengewohnt haben. „Die Gesellschaft in Japan verändert sich immer mehr zu einer Differenzgesellschaft, in der jeder für sich alleine wohnt“, sagte Schulz. Altersarmut, Vereinsamung, eine hohe Rate von jungen Alleinstehenden und der Geburtenrückgang sind weitere drängende Probleme in der japanischen Gesellschaft. Etwa 70 Prozent der Japaner wohnen in Städten. „In Tokio zum Beispiel ist etwa die Hälfte der Bewohner nicht in der Stadt geboren“, berichtete Evelyn Schulz. Durch diese Probleme steigt der gesellschaftliche Druck und auch der Wunsch, etwas zu verändern. Da in den vergangenen Jahren viele Japaner vom Land in die Stadt gezogen sind, hat sich das Stadtbild verändert: Statt kleiner Ein- oder Mehrfamilienhäuser sind riesige Hochhäuser entstanden.

Stadtteil Yanaka als Gegentrend

Doch es gibt auch kleinere Stadtviertel, die noch nicht so stark mit Hochhäusern nachverdichtet worden sind. „Diese kleinräumigen Stadtviertel erleben gerade eine Revitalisierung“, erklärte Schulz. Das Stadtviertel Yanaka beispielsweise versucht, seinen kleinstädtischen Charme zu erhalten. „Hier gibt es eine Einkaufsstraße, in der ausschließlich kleine inhabergeführte und alteingesessene Ladenbesitzer ihre Waren verkaufen oder Restaurants betreiben.“ Die üblichen großen und globalen Modemarken sucht man dort vergeblich. Die Bewohner hatten sich gezielt zusammengeschlossen, um dieses Viertel in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten. „Investoren aus dem Ausland oder aus anderen Regionen hatten keine Chance, Grundstücke zu erwerben“, so Schulz.

Eine Bildzeichnerin konzentriert an ihrem Werk

Gemeinschaftsgärten und ressourcenschonende Lebensweise in Koganei

Ein weiteres Beispiel für den langsam beginnenden Wandel in der japanischen Gesellschaft ist die Transition Town-Bewegung. „Im Stadtteil Koganei stehen noch viele kleine Häuser“, berichtete Schulz. „Die Bewohner wollen vor allem nachhaltige Energiekonzepte, Partizipation und eine lebendige Nachbarschaftsgemeinschaft einführen und etablieren, denn die Ressourcenknappheit, der Klimawandel oder Wirtschaftskrisen zeigen die Grenzen des bisherigen Wirtschaftens auf.“ Viele Bewohner wollen mit diesem Ziel der leistungsorientierten Dienstleistungsgesellschaft entkommen, die immer nur auf Effizienz und nach höheren Erträgen strebt. Sie möchten eine faire, gerechte und ressourcenschonende Gemeinschaft für alle begründen. So gibt es zum Beispiel schon einen Gemeinschaftsgarten, in dem man gemeinsam Gemüse anbauen kann. „In Nishijin, ein Stadtteil von Kyoto, haben sich die Bürger dafür eingesetzt, dass eine stillgelegte Schule zu einem Gemeinschaftsort umgebaut wurde“, sagte Schulz. „Die erste Idee war ein Hotel, doch die Bewohner haben sich erfolgreich für den Gemeinschaftsort ausgesprochen.“

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